Japangraben

Tiroler Forscher enthüllen Tiefsee-Erdbebenarchiv

Mit einer Rekordbohrung im Japan-Graben erforscht ein internationales Team erstmals lückenlos Erdbeben und Kohlenstoffkreislauf der Tiefsee.
Heute Life
15.12.2025, 12:44
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"Diese Bohrkerne geben uns erstmals einen durchgehenden Blick in die Erdbeben- und Tsunamigeschichte des Japan-Grabens", sagt der Geologe Michael Strasser. Der Professor von der Universität Innsbruck ist schon öfter zum Japangraben aufgebrochen.

Im Jahr 2021 war Strasser mit einem internationalen Team so tief im Untergrund wie noch nie zuvor unterwegs. Damals wurde in einer Wassertiefe von 8.023 Metern gebohrt, berichtet der ORF. Die Forschenden konnten Sedimentproben mit einer Länge von rund 40 Metern entnehmen, wie es zur Expedition 386 des International Ocean Discovery Program (IODP) heißt. Damit gelang es, Erdbebenprozesse und deren Auswirkungen auf die sogenannte hadale Zone bis mindestens 24.000 Jahre zurück zu erforschen.

Mit Tiefsee-Bohrschiff unterwegs

"Damals haben wir die Bohrkerne mit einem Drahtseil gezogen", erzählte Strasser. Dieses Mal stand das Tiefsee-Bohrschiff "D/V Chikyu" zur Verfügung, das eine noch größere Reichweite ermöglichte. Die Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology (JAMSTEC) bezeichnet dieses Schiff als eines der größten Forschungsschiffe der Welt.

JAMSTEC vermeldete auch einen neuen Rekord: Im zentralen Japan-Graben wurde erstmals eine vollständige Abfolge der dort abgelagerten Tiefseesedimente aus einer Wassertiefe von über 7.600 Metern gewonnen. Damit gibt es jetzt einen neuen Wassertiefenrekord in der wissenschaftlichen Tiefseebohrung.

Das Expeditionsteam war zwei Wochen lang rund um die Uhr im Einsatz. "Alle drei Stunden wurde wieder ein 9,5-Meter-Bohrkern mit sechs Zentimetern Durchmesser hochgezogen", berichtet Strasser. Für ihn und seinen japanischen Kollegen bedeutete das Zwölf-Stunden-Schichten: "Ab dem Heraufholen mussten wir genau überwachen, wie etwa der Bohrkern von der Entnahme unter dem Bohrturm in die Labore wandert und beprobt wird."

Bugansicht der D/V Chikyu vom Dock aus.
JAMSTEC

Bohrung im Bereich des Katastrophenbebens von 2011

Diesmal untersuchte das Team zwei Stellen, rund 330 Kilometer nordöstlich von Fukushima im nordwestlichen Pazifik. In 7.608,5 Metern Wassertiefe wurde ins Sediment gebohrt. Die aktuellen Bohrungen liegen in jener Gegend, die mit dem schweren Beben und Tsunami vom 11. März 2011 in Verbindung steht. Dieses Ereignis löste die "Nuklearkatastrophe von Fukushima" aus.

Pazifische Platte taucht unter die Eurasische Platte ab

Der Japangraben ist eine sogenannte Subduktionszone. Das heißt, die Pazifische Platte schiebt sich unter die Eurasische Platte. Das Forschungsschiff, ausgestattet mit einem 120 Meter hohen Bohrturm und einer rund 7.800 Meter langen Bohrrohrleitung, ermöglichte es den Forschenden, das erste Bohrloch erfolgreich bis in eine Sedimenttiefe von 182 Metern zu beproben – insgesamt wurden 20 Bohrkerne heraufgeholt. Strasser meint dazu: "Ingenieurtechnisch ist das schon gewaltig!"

„Ingenieurtechnisch ist das schon gewaltig!“

KI hilft bei der Auswertung der Bohrkerne

Das zweite Bohrloch wurde bis 160 Meter Tiefe gebohrt. Die Bohrkerne wurden so entnommen, dass sie die Übergänge der ersten Kerne zerstörungsfrei wiedergeben. Das Ziel ist ein lückenloses Erdbebenarchiv.

Die Proben wurden bereits an Bord von rund 26 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern und etwa 25 Labortechnikerinnen und Labortechnikern ersten Standarduntersuchungen unterzogen. Dabei kamen unter anderem Datierungsmethoden und Hightech samt Künstlicher Intelligenz zum Einsatz. "Als wir vor vier Jahren noch unterwegs waren, haben zwei Kollegen stundenlang ins Mikroskop geschaut und die Tierchen und Pflanzenfossilien gezählt – jetzt lässt die Kollegin die KI drüberlaufen und generiert sehr schnell nochmals viel mehr Daten", so Strasser.

"Auf dem Schiff waren unterschiedlichste Forschungsdisziplinen vertreten, und Labore mit einer Ausstattung wie Top-Mikroskopen oder Massenspektrometern, von der man nur träumen kann. Das Schiff war quasi eine schwimmende Universität", sagt Strasser. Das internationale Team – vier davon aus Innsbruck – arbeitet nun ein Jahr lang gemeinsam an der Auswertung der Proben und Vorbereitung von Publikationen. Danach stehen die Daten den einzelnen Gruppen zur weiteren Nutzung frei zur Verfügung.

Die Bohrvorrichtung wird durch den so genannten Moonpool des Schiffs ins Meer befördert.
JAMSTEC

Zwei große Forschungsfragen

Zwei große Fragen standen im Zentrum der Mission. "Niemand weiß, wie oft Erdbeben und damit verbundene Tsunamis – wie das Ereignis von 2011 oder etwa der 'Weihnachtstsunami' aus 2004 – auftreten. Wir haben in den vergangenen 100 Jahren, seitdem wir diese Großereignisse messen können, fünf Megabeben erhoben", erklärt Strasser. Noch ist unklar, ob solche Ereignisse mit einer Magnitude von 9 oder mehr regelmäßig vorkommen und ob sie einem "übergeordneten Zyklus" folgen. "Hier konkurrieren zwei Hypothesen: Die eine geht von einer zufälligen Verteilung aus – die andere von einer gewissen Regelmäßigkeit, und um das zu testen, braucht man ein Archiv mit einer langen Zeitreihe."

Die zweite große Frage betrifft die Rolle dieser Zonen für den Kohlenstoffkreislauf und den Klimawandel. "Diese Tiefseegräben waren bisher schwarze Löcher auf unserer Landkarte des Verständnisses des Kohlenstoffkreislaufs, aber hier wird sehr viel Kohlenstoff umgesetzt und umgelagert." Auch hier gibt es zwei Hypothesen: Entweder dienen die Tiefseegräben als große Kohlenstoffsenken, oder der Kohlenstoff wird in die Ozeane zurückgeführt.

Seit 2001 beteiligt sich Österreich am International Continental Scientific Drilling Program, seit 2004 am IODP. Was das für Strasser bedeutet? "Wir bohren zwar auch in österreichischen Seen. Aber wir erforschen Erdsysteme, und diese hängen zusammen. Der Zugang zu diesen exzellenten kooperativen Großforschungsprogrammen ist daher – auch für ein Binnenland – wichtig. Die Astronomen nutzen NASA-Missionen – wir nutzen IODP-Expeditionen, um mit Bohrschiffen in unbekannte Gefilde auf – unserem eigenen – Planeten vorzudringen."

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