Seit Jahren leidet Andrea S. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) unter ME/CFS. Die Symptome: starke Erschöpfung, kognitive Störungen und Schlafprobleme – die Wienerin bezieht deswegen seit 2021 Rehageld. 2024 kam dann der Schock: Das Geld wurde ihr gestrichen. Die Begründung: Es gehe der Frau bereits besser. Die Ärzte sahen das jedoch anders.
Trotz ärztlicher Bescheinigung, dass sich der Zustand von Andrea S. nicht gebessert habe, bleibt das Geld von der PVA weiterhin aus. Hilfe hätte das Wiener Arbeits- und Sozialgericht bieten sollen, doch dieses bestätigte zunächst die Entscheidung der PVA.
Fassungslos wandte sich die Wienerin an die AK Wien – sofort wurde Berufung eingelegt. Ende Oktober kam das Oberlandesgericht Wien (OLG Wien) dann zu einem klaren Befund, der dem Gericht erster Instanz und den Gutachterinnen und Gutachtern der PVA eine deutliche Abfuhr erteilte: Diese müssen sich mit allen Privatbefunden sowie der aktuellen medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar auseinandersetzen.
Zentrale Symptome wie Post-Exertional Malaise (PEM) – eine Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung – wurden einfach ignoriert. Dabei gilt PEM laut Expertinnen und Experten als Kernsymptom der Krankheit. Auch das international anerkannte D-A-CH-Konsensus-Statement, das genaue Diagnose- und Behandlungsleitlinien vorgibt, wurde vom Gutachter nicht berücksichtigt, so das OLG.
"Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, bestätigt nun das Gericht", sagt AK-Jurist Levin Wotke, der das Verfahren in der AK Wien betreut. "Erstmals stärkt ein Gericht schwarz auf weiß die Rechte von ME/CFS-Betroffenen. Medizinische Gutachter:innen müssen sich mit vorgelegten Befunden und der aktuellen medizinischen Wissenschaft auseinandersetzen – und sehr gut begründen, wenn sie davon abweichen." Die Gerichte müssen die Qualität medizinischer Gutachten strenger prüfen, insbesondere bei komplexen Erkrankungen wie ME/CFS oder Long Covid.