Schicksalswahl

Schwenkt Tschechien bald auf Kuschelkurs zu Putin ein?

Ein Wahlsieg von Andrej Babiš könnte Tschechiens Kurs im Ukraine-Krieg und das Verhältnis zur EU grundlegend verändern.
Newsdesk Heute
03.10.2025, 09:07
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Tschechien und Ungarn verbindet viel. Beide mitteleuropäische Länder waren früher mitunter widerspenstiger Teil des kommunistischen Ostblocks, heute stemmen sie sich heute stark gegen irreguläre Migration. Doch in ihrer Position zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könnten sie nicht unterschiedlicher sein.

Wie NTV am Freitag berichtet, könnte sich das aber bald ändern. Die rechtspopulistische Partei ANO des früheren Regierungschefs Andrej Babiš liegt in den Umfragen zur laufenden Abgeordnetenhauswahl am Freitag und Samstag in Führung. Gewinnt sie, könnte der nächste Österreich-Nachbar auf Kuschelkurs zum Kreml einschwenken.

Der 71-Jährige versteht sich bestens mit dem slowakischen Regierungschef Robert Fico und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Seine ANO-Partei hat sich im Europaparlament die Rechtsaußen-Fraktion "Patrioten für Europa" von Herbert Kickl & Co. angeschlossen. Diese versammelt gleich mehrere dort mit russlandfreundliche Parteien wie Orbáns Fidesz, dem französischen Rassemblement National von Marine Le Pen, der italienischen Lega.

Bisher zählt Tschechien unter dem konservativen Regierungschef Petr Fiala und seiner Fünfparteien-Koalition zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine. Prag lieferte Waffen, nahm viele ukrainische Flüchtlinge auf und startete sogar eine "Munitionsinitiative", um Kyjiw im Verteidigungskampf zu helfen. Was die Probleme im eigenen Lan angeht, sind viele Tschechen jedoch enttäuscht von der Regierung Fiala.

Tschechischer Trump

Rechtspopulist Babiš weiß genau das auszunutzen: Er wirft der Regierung vor, sich mehr auf die Ukraine als die eigenen Leute zu konzentrieren. Derweil inszeniert er sich selbst als "Friedenstreiber", fordert einen Waffenstillstand in der Ukraine und ein Ende der Militärhilfe.

Babiš verfängt mit seiner direkten, manchmal ungehobelten Art und einer mystischen Erzählung seines Wegs Selfmade-Reichtums und seinem wirtschaftsliberalen Programm. Sein Slogan "Silne Cesko" – also "starkes Tschechien" – prangt seit Jahren auf roten Kappen, die er direkt bei Trump abgekupfert hat.

Regierung selbst bei Sieg unsicher

"Es ist keine Übertreibung, dass diese Wahl Tschechiens geopolitische Position bestimmen wird", sagt Politikexperte Petr Just von der Metropoluniversität in Prag. Laut Umfragen liegt die ANO von Babiš bei rund 30 Prozent, die konservative Spolu von Amtsinhaber Fiala bei 20 Prozent. Der Wahlsieger wird wohl auf einen oder mehrere kleinere Koalitionspartner angewiesen sein.

Nach seinem ersten Wahlsieg 2017 versuchte Babiš es zuerst mit einer Minderheitsregierung, dann mit den Sozialdemokraten und der Unterstützung der Kommunisten. Heuer könnten die rechtsradikale Partei SPD und die linksradikale Bewegung Stacilo! (auf Deutsch: Es reicht!), in der Kommunisten und Teile der Sozialdemokraten gelandet sind, als Koalitionspartner in Frage kommen. Beide wollen in ihren Wahlprogrammen ein Referendum über einen EU-Austritt Tschechiens.

Politikexperte Just rechnet mit "komplizierten und wahrscheinlich langen" Koalitionsverhandlungen. Selbst wenn Babiš eine EU-kritische Koalition bildet, wäre seine Macht aber viel stärker eingeschränkt als die von Orbán in Ungarn.

Denn das tschechische Parlament besteht – anders als das ungarische Einkammerparlament – aus zwei Kammern. Im Senat, der an diesem Wochenende nicht gewählt wird, gibt es eine klare pro-europäische Mehrheit. Und Staatspräsident Petr Pavel, der laut Verfassung den Auftrag zur Regierungsbildung vergibt, ist ehemaliger NATO-General, überzeugter Pro-Europäer und ein entschiedener Unterstützer der Ukraine.

{title && {title} } red, {title && {title} } 03.10.2025, 09:07
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