Zwei Menschenleben – so lange, sagen die Inuit in Alaska, kann ein Grönlandwal alt werden. Ein besonders altes Exemplar dieser Art schaffte es sogar auf stolze 211 Jahre, bevor es Ende des 20. Jahrhunderts von Walfängern erlegt wurde. In mehreren Walen, die in den 1990er Jahren getötet wurden, entdeckte man außerdem steinharte Harpunenreste im Fleisch, die nur bis in die 1860er Jahre verwendet worden waren.
Warum Grönlandwale ein derart hohes Alter erreichen, gibt Forschende schon lange Rätsel auf. Eigentlich müsste bei so großen und langlebigen Tieren das Risiko viel höher sein, dass sich gesunde Zellen in Krebszellen verwandeln – schließlich gibt es viele Zellen, die mit der Zeit mutieren können.
Der Grönlandwal (Balaena mysticetus) lebt in den arktischen Meeren, kann bis zu 18 Meter lang und bis zu 100 Tonnen schwer werden. Seine Hauptnahrung ist Plankton, das er mit seinen Barten aus dem Wasser filtert.
Ein Team rund um Jan Vijg vom Einstein College of Medicine in New York und Vera Gorbunova von der Rochester University hat sich genau damit beschäftigt und die Ergebnisse im Magazin "Nature" veröffentlicht.
Die Forscher haben Walgewebe Bedingungen ausgesetzt, unter denen normalerweise sehr leicht Krebs entstehen kann, etwa durch intensive UV-Strahlung. Dabei zeigte sich: Walzellen brauchen tatsächlich weniger genetische Veränderungen, um bösartig zu werden, als menschliche Bindegewebszellen. Trotzdem weisen sie insgesamt deutlich weniger Mutationen auf. Das bedeutet, das Erbgut der Wale wird besonders effizient repariert.
Eine wichtige Rolle spielt dabei das Protein CIRBP (Cold-inducible RNA-binding protein), das in den Walzellen in großer Menge vorkommt. Dieses Protein hilft, DNA-Doppelstrangbrüche zu reparieren – also genau dann, wenn beide Stränge der DNA an derselben Stelle gerissen sind. Wie CIRBP das aber genau macht, ist noch nicht ganz klar.
Hinweise aus Laboruntersuchungen deuten aber darauf hin, dass CIRBP eine sogenannte "liquid-liquid phase separation" (LLPS) durchläuft – das heißt, es trennt sich in zwei flüssige Phasen. Dabei entstehen winzige Tröpfchen, in denen Moleküle konzentriert werden. Die Forschenden vermuten, dass so die Reparaturfaktoren zusammengebracht und die Enden beschädigter DNA stabilisiert werden.
Tote Wale explodieren regelrecht:
Während zu viele klassische Reparaturenzyme sogar schädlich sein können, könnte die Schutzstruktur aus CIRBP-Molekülen erklären, warum eine erhöhte Menge dieses Proteins für den Wal von Vorteil ist, so die Studie.
Nicht zu verwechseln: Der Grönlandhai kann sogar rund 400 Jahre alt werden. Auch bei ihm vermuten Fachleute, dass spezielle Mechanismen zur Genreparatur für diese enorme Langlebigkeit sorgen.
„Wird die Walvariante des CIRBP-Gens in menschliche Zellen eingebracht, erhöht sie dort messbar die Genomstabilität“
Noch gibt es keine zugelassenen Therapien, die gezielt die DNA-Reparatur beim Menschen stärken, um Krebs oder altersbedingte Zellschäden zu verhindern. Lange war auch umstritten, ob das überhaupt möglich ist. Der Grönlandwal liefert aber Hinweise, dass es gehen könnte.
Das Forschungsteam hofft, dass Therapien, die auf dieser Strategie beruhen – also etwa die Aktivität oder Menge von Proteinen wie CIRBP steigern – eines Tages helfen könnten, die Instabilität des Erbguts zu behandeln. "Das wäre besonders bedeutsam für Menschen mit einer erblichen Krebsveranlagung oder für ältere Bevölkerungsgruppen, deren Krebsrisiko naturgemäß steigt."