Klimaschutz

"Wir haben eine Vielzahl an Optionen für Klimaschutz"

Wo stehen wir beim Klimaschutz und ist das 1,5°C-Ziel überhaupt noch erreichbar? Klimaforscher Dr. Daniel Huppmann im "Heute"-Interview.

Lydia Matzka-Saboi
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Klimaforscher Dr. Daniel Huppmann im Interview mit der Tageszeitung <em>"Heute</em>“ in der Redaktion im 1. Bezirk.
Klimaforscher Dr. Daniel Huppmann im Interview mit der Tageszeitung "Heute“ in der Redaktion im 1. Bezirk.
Sabine Hertel / Tageszeitung "Heute"

Dr. Daniel Huppmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Er war einer der Autoren des "Sonderberichts 1,5°C globale Erwärmung" des Weltklimarats (IPCC), der im Jahr 2018 veröffentlicht wurde.

In seiner Forschung beschäftigt sich Dr. Huppmann mit modell-basierten Transformationspfaden zur Erreichung der Ziele des Pariser Übereinkommens, das von der UN-Klimakonferenz im Jahr 2015 beschlossen wurde.

Insbesondere arbeitet er an Open-Source-Tools zur Analyse und Visualisierung von Szenario-Ensembles und setzt sich für die Verbesserung der Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit von wissenschaftlichen Arbeiten ein. Außerdem ist Dr. Huppmann im Fachkollegium der "Scientists For Future Austria" aktiv und Jury-Mitglied des Heute For Future-Award.

Klimaforscher Dr. Daniel Huppmann im Interview mit der Tageszeitung <em>"Heute“</em>. Huppmann ist Jury-Mitglied des <strong>Heute For Future</strong>-Award.<em></em>
Klimaforscher Dr. Daniel Huppmann im Interview mit der Tageszeitung "Heute“. Huppmann ist Jury-Mitglied des Heute For Future-Award.
Sabine Hertel / Tageszeitung "Heute"

Herr Dr. Huppmann, wo stehen wir beim Klimaschutz gerade und was müsste aus Ihrer Sicht getan werden?

Das Bewusstsein für das Thema Klimaschutz ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Viele Menschen haben begriffen, dass wir auf eine Klimakrise zusteuern. Gleichzeitig sind wir "Gewohnheitstiere" und es fällt uns allen schwer, unsere Routinen zu ändern. Daher ist es wichtig, in allen Lebensbereichen klimafreundliche Alternativen anzubieten, die günstiger und bequemer sind als der Status Quo.

Sie sind Mitautor des IPCC-Sonderberichts zum 1,5°C-Ziel – ist das Paris-Ziel überhaupt noch erreichbar?

Ja, es ist nach heutigem Wissensstand möglich, die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf unter 2°C zu begrenzen und möglichst nahe bei 1,5°C zu bleiben - so lautet das Doppel-Ziel, das sich die Staats-und Regierungschefs 2015 in Paris gesetzt haben.

Wir haben eine Vielzahl an Optionen, wie zum Beispiel Photovoltaik und E-Mobilität, die bereits heute wirtschaftlich konkurrenzfähig gegen die Technologien des 20. Jahrhunderts sind - da geht es eigentlich nur noch um die Frage, wie schnell wir den Systemwandel vollziehen. Gleichzeitig gibt es viele Möglichkeiten, durch Effizienzsteigerung sowohl das Klima zu schonen als auch langfristig Geld zu sparen - die thermische Sanierung von Gebäuden, also verbesserte Wärmedämmung, ist dafür ein gutes Beispiel.

Damit ist es möglich, auf einen Pfad "minus 50% CO2-Emissionen bis 2030" einzuschwenken, den wir im IPCC-Sonderbericht als "konsistent mit dem Paris-Ziel" identifiziert haben. Für die tatsächliche Erreichung der Klimaneutralität benötigen wir dann noch zusätzliche Technologien wie "grünes Gas". Das hat derzeit die Marktreife noch nicht erreicht und ist aktuell teurer als fossiles Erdgas, aber da wird in den nächsten Jahren einiges weitergehen. Allerdings werden wir diskutieren müssen, wo grünes Gas verwendet werden soll - es wird nicht genug davon geben, um es für das Heizen, den Autoverkehr und in der Industrie zu verwenden.

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    Zahlreiche Starkregenereignisse haben im Sommer - wie hier im Bild im Raum Hochburg-Ach in Oberösterreich - zu Hochwasser, Überschwemmungen und Vermurungen geführt.
    Zahlreiche Starkregenereignisse haben im Sommer - wie hier im Bild im Raum Hochburg-Ach in Oberösterreich - zu Hochwasser, Überschwemmungen und Vermurungen geführt.
    MANFRED FESL / APA / picturedesk.com

    Am 28. Februar erscheint der mit Spannung erwartete neue IPCC-Bericht "Folgen des Klimawandels, Anpassung und Verwundbarkeit" - was wird uns erwarten? Müssen wir uns fürchten?

    Ich hoffe, dass sich niemand vor wissenschaftlichen Berichten fürchten muss. Der traurige Grund, warum viele Menschen sich mit dem Thema Klimaschutz beschäftigen, sind ja die Auswirkungen, die wir bereits heute immer wieder hautnah zu spüren bekommen. Im August 2021 ist der IPCC-Bericht zu den "Naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels" erschienen - seitdem wissen wir, dass es einen klaren statistischen Zusammenhang zwischen Extremwetterereignissen und der bereits passierten Erderhitzung gibt.

    Nicht jeder Sturm, jede Überschwemmung, Trockenperiode oder jeder Waldbrand ist direkt auf den Temperaturanstieg zurückzuführen, aber die Häufigkeit und Intensität gäbe es ohne menschengemachte Erderhitzung nicht - und dabei stehen wir erst bei plus 1,2°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, und wir befinden uns derzeit auf einem Pfad in Richtung plus 2,7°C.

    Der in den nächsten Tagen erscheinende Bericht wird aufzeigen, wo die größten Risiken und Verwundbarkeiten unser Gesellschaft und der Infrastruktur liegen - und wie wir uns am besten daran anpassen. Und bei vielen Themen werden wir uns entscheiden müssen: gegen Überschwemmungen bei Starkregen hilft sowohl mehr Verbauung eines Flussbetts als auch Renaturierung, um die natürliche Rückhaltefähigkeit zu stärken. Je früher wir mit dieser Diskussion anfangen, desto besser können wir uns an die unausweichlichen Veränderungen anpassen.

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    Wir steuern auf plus 2,7°C-Erderhitzung zu. Wie würde diese Welt aussehen, was würde das für uns bedeuten?

    Plus 2,7°C Erderhitzung im globalen Durchschnitt heißt für das Temperatur-Mittel in Österreich ungefähr das doppelte, also etwa plus 5°C. Weiße Weihnachten in den Großstädten wird es dann nur noch in absoluten Ausnahmejahren geben. Aber das große Problem werden wir im Sommer haben, wenn in dicht verbauten Stadtteilen die Temperatur wochenlang über 35°C steigt und es auch in den Nächten nicht abkühlt - das ist für den menschlichen Körper extrem belastend. Deshalb ist es auch wichtig, möglichst bald in Begrünung zu investieren, denn Bäume verbessern das Mikroklima und sorgen für Kühlung - allerdings dauert es auch ein Jahrzehnt, bis ein heute gepflanzter Baum diese Wirkung entfalten kann.

    Trotz der alarmierenden Fakten - warum geht beim Klimaschutz so wenig weiter? Woran scheitert’s, wer blockiert?

    Wir sind Gewohnheitstiere und wir mögen Veränderung eher nicht. Außerdem nehmen wir den Verlust einer Gewohnheit viel stärker wahr als die Vorteile, die sich dadurch ergeben können. Ein derzeit besonders emotional diskutiertes Thema ist der Verkehr: viele Menschen sehen es als Affront, wenn Autospuren oder Parkplätze reduziert werden sollen - die Verbesserungen sehen wir im Vergleich dazu oft nur sehr abstrakt, wie zum Beispiel mehr Platz für Kinderwagen-taugliche Gehsteige und Schanigärten, höhere Sicherheit im Straßenverkehr dank sicherer Radwege oder einfach schönere Straßen und ein verbessertes Mikroklima, weil Platz für Bäume und Blumenbeete geschaffen wird.

    "Wenn wir aber Maßnahmen weiter verzögern und verschleppen, dann werden wir uns wohl oder übel auch anpassen müssen, denn die Temperatur wird steigen und die Auswirkungen werden immer mehr zunehmen. Dann haben wir aber weniger Spielraum, gestaltend einzugreifen, sondern können nur noch reagieren", sagt Dr. Daniel Huppmann.

    Was, wenn Klimaschutz scheitert?

    Es gibt nicht wirklich Erfolg oder Misserfolg beim Klimaschutz. Es ist eher eine Frage, ob wir die Änderungen in naher Zukunft proaktiv in Angriff nehmen können - und zwar sowohl bei der Verringerung unseres CO2-Ausstoßes als auch bei den erwähnten Anpassungsmaßnahmen.

    Wenn wir das schaffen, können wir eine Zukunft gestalten, die im Vergleich zu heute noch lebenswerter ist. Wenn wir aber Maßnahmen weiter verzögern und verschleppen, dann werden wir uns wohl oder übel auch anpassen müssen, denn die Temperatur wird steigen und die Auswirkungen werden immer mehr zunehmen. Dann haben wir aber weniger Spielraum, gestaltend einzugreifen, sondern können nur noch reagieren.

    Dr. Daniel Huppmann ist Jury-Mitglied des&nbsp;<strong>Heute For Future</strong>-Award. Mit <em>"Heute"</em>-Redakteurin Lydia Matzka-Saboi (links) und <strong>Heute For Future</strong>-Award-Projektleiterin Laura Rabensteiner (rechts).
    Dr. Daniel Huppmann ist Jury-Mitglied des Heute For Future-Award. Mit "Heute"-Redakteurin Lydia Matzka-Saboi (links) und Heute For Future-Award-Projektleiterin Laura Rabensteiner (rechts).
    Sabine Hertel / Tageszeitung "Heute"

    Welche drei Klimaschutzmaßnahmen würden Sie sofort umsetzen, wenn Sie am Drücker wären?

    Ich würde dem Beispiel von Paris, Berlin, Brüssel und Barcelona folgen: Tempo 30 in den Städten und mehr Begegnungszonen und sichere Fahrradinfrastruktur. Das ist keine Einschränkung für jene, die tatsächlich auf ein Auto angewiesen sind - und gleichzeitig erlaubt es vielen Leuten, mehr Wahlmöglichkeiten in ihren Mobilitätsentscheidungen zu haben. Außerdem hat eine Reduktion des innerstädtischen Verkehrs enorme positive Zusatzeffekte wie weniger Schadstoffbelastung, geringerer Energieverbrauch, weniger Lärm - und mehr Platz für soziale Aktivitäten.

    Als zweites sollte man klimaschädliche Subventionen abschaffen. Es ist ja absurd, dass wir auf der einen Seite eine hohe Mineralölsteuer einheben und gleichzeitig mit der Pendlerpauschale den Autoverkehr und die Zersiedelung fördern.
    Als dritte Maßnahme fände ich die Einrichtung eines Klima-Rechnungshofs oder eines Klima-Diensts (ähnlich dem Budgetdienst) im Parlament sehr sinnvoll. Es wird bei vielen Maßnahmen über die Auswirkung auf die Staatsschulden diskutiert, das ist sinnvoll - und genauso sollte man auch bei allen Gesetzesvorhaben und Verordnungen die für den Klimaschutz relevanten Auswirkungen evaluieren, um eine konsistente Entscheidungsgrundlagen zu haben und Prioritäten besser setzen zu können.

    Sie haben in Washington DC, also in den USA, geforscht, leben und arbeiten jetzt nahe Wien. Wo wird Klimaschutz mehr gelebt?

    Die USA haben pro Kopf etwa doppelt so hohe CO2-Emissionen wie Österreich, das merkt man natürlich auch im täglichen Leben. Es hat mir gezeigt, wie wichtig die Rahmenbedingungen sind, in denen wir als Individuen Entscheidungen treffen. Es ist in den USA sehr schwierig, nachhaltig und klimafreundlich zu leben, weil die Infrastruktur auf das Auto ausgelegt ist und zum Beispiel Bio-Lebensmittel viel teurer sind als in Österreich. Und auf den Anteil der Erneuerbaren Energie im Strommix habe ich als Konsument ja auch keinen Einfluss.

    Gleichzeitig passiert auch dort einiges: ich habe etwa 100 Meter von der Connecticut Avenue in Washington DC gewohnt, einer 5-spurigen Pendler-Arterie ähnlich der Triester Straße in Wien. Dort wird jetzt gerade eine Fahrspur in einen baulich getrennten, sicheren Radweg umgewandelt. Das würde ich mir für die Triester Straße auch wünschen.

    Warum machen Sie beim Heute For Future-Award mit?

    Ich halte es für sehr wichtig, dass wir Klimaschutz als ein Thema begreifen, das enormes Potential hat, unsere Lebensqualität zu steigern. Dafür ist es wichtig, Leuchtturm-Projekte vor den Vorhang zu holen und ganz konkret zu zeigen, wo man vom abstrakten Ziel Klimaneutralität ins konkrete Handeln kommt. Ich hoffe, dass durch den Heute For Future-Award einige Menschen von den Projekten inspiriert werden und bei sich zu Hause - im Grätzl oder im Dorf - ähnliche Initiativen starten.

    Vielen lieben Dank für das Gespräch!