Der weltweit größte Bio-Zertifizierer steht unter Druck: Der Ökoverband "Naturland", unter dessen Richtlinien laut eigenen Angaben rund 128.000 Bäuerinnen und Bauern in 60 Ländern produzieren, sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Im Zentrum der Kritik: mangelhafte Rückverfolgbarkeit, fragwürdige Ausnahmegenehmigungen – und der Verdacht auf bezahlte Freigaben nicht kontrollierbarer Rohstoffe.
"Naturland"-Partner müssen mindestens 50 Prozent ihres Futtermittels für Tiere selbst erzeugen. Doch sie dürfen auch importiere Rohwaren verwenden. Diese Waren müssen allerdings einen Herkunftscheck durchlaufen, um Qualität und Öko-Standards von "Naturland" sicherzustellen. "Heute" liegen interne Mails von Naturland an seine Partner vor, die den Anschein erwecken, dass Futtermittel, die nicht vollständig rückverfolgbar sind, gegen Bezahlung trotzdem freigegeben wurden.
So heißt es in einer Mail an einen "Naturland"-Partner etwa, dass seine Anträge mit einer Ausnahmegenehmigung für Futter – zum Beispiel für Rinder, Schweine oder Hühner – mit 25 Euro pro Tonne freigegeben wurden, nachdem man keine Anträge vom Vorlieferanten erhalten habe. Da die Frist abgelaufen sei, müsse man davon ausgehen, dass die Rohware bereits in Naturland-Futter eingesetzt wurde.
Übersetzt heißt das: Man geht davon aus, dass Futter – noch bevor es überhaupt als Bio und anhand der strengen "Naturland"-Richtlinien zertifiziert wurde – verfüttert wurde.
Gleichzeitig wird von "Naturland" in der E-Mail eingeräumt, dass man neue Anträge, die fristgerecht einlangen und bei denen die Rückverfolgbarkeit des Futters gegeben ist, zukünftig mit weniger Gebühr genehmigen werde.
In einem Rundschreiben an seine Partner gesteht "Naturland" ein, dass in der aktuellen Marktlage die Beantragung nicht originärer "Naturland"-Rohware zugenommen habe. Dies könne bedeuten, dass "kritische bzw. risikoreiche Rohwaren zugelassen und eingesetzt werden müssen und die Herkünfte diesbezüglich nicht komplett rückverfolgbar sind."
Als Reaktion kündigte der Verband zusätzliche Maßnahmen an: Antragsteller müssen eigene Analysen der Rohware durchführen und vorlegen. Das bedeutet im Klartext: Die Betriebe entscheiden selbst, welche Proben welchem Produkt zugeordnet werden – erst dann erfolgt der Qualitätsnachweis.
Naturland verweist auf "Heute"-Nachfrage auf sein Qualitätssicherungssystem, das die Versorgung mit hochwertigem Bio-Futter sicherstellen soll. Vorrang hätten immer Futtermittel aus regionaler Erzeugung. Fremdware dürfe nur nach Antrag und Nachweis von Herkunft und Qualität eingesetzt werden. Ohne diese Nachweise erfolgt keine Freigabe, betont der Bio-Verband.
In Ausnahmefällen seien nachträgliche Genehmigungen möglich, etwa wenn keine rechtzeitige Freigabe eingeholt wurde. "In solchen Fällen, wenn die Ware nicht mehr rückholbar ist, wird eine Strafgebühr erhoben. Zweck der Strafgebühren ist es, die Unternehmen zur Einhaltung der Vorgaben anzuhalten", heißt es von "Naturland" – und genau darum würde es in den vorliegenden E-Mails gehen.
Das "Naturland"-Siegel steht für Bioprodukte, die nach strengeren ökologischen Richtlinien hergestellt werden. In Österreich findet man einige "Naturland"-Produkte bei der Drogeriekette DM. Bei den Handelsriesen Rewe und Aldi in Deutschland ist das Siegel sogar Voraussetzung, um dort gelistet zu werden.
Erst kürzlich geriet "Naturland" laut Medienberichten im "Standard" unter Druck. Denn Laboranalysen, die auch "Heute" vorliegen, belegen Unregelmäßigkeiten bei Naturland-zertifizierten Produkten aus Nicht-EU-Ländern wie China und der Türkei – darunter Honig, Bulgur und Hirse.
Bei der untersuchten Bio-Hirse seien Hinweise festgestellt worden, dass sie nicht den Anforderungen für Bio-Produkte entspreche. Beim Bulgur schließen Experten eine Düngung mit tierischer Biomasse aus. Zur Verifizierung des Weizens aus der Türkei seien weitere Informationen notwendig. Und der untersuchte Honig "entspricht nicht dem Profil eines typischen, authentischen Honigs", wie es im Gutachten heißt.
"Naturland" räumt in einer Stellungnahme ein, dass aufgrund der gestiegenen Verbrauchernachfrage nicht alle Produkte – wie etwa die Hirse – aus heimischer Erzeugung gedeckt werden können. Aber auch hierbei verweist man auf die Sicherstellung hoher Qualitätsstandards.
Seitens des Verbandes wird erklärt, dass die verwendeten Labormethoden nicht hundertprozentig geeignet und aussagekräftig seien, um mit Sicherheit festzustellen, ob ein Endprodukt aus ökologischem Anbau stamme oder nicht. Hirse und Bulgur wären aufgrund der Kombinationen beim Dünger anfällig für falsche Ergebnisse. Zudem hätte man selbst drei Naturland-zertifizierte Honige mit der DNA-Methode untersuchen lassen – und alle wären als authentisch bewertet worden. "Dennoch wird Naturland den Hinweisen selbstverständlich nachgehen und die betroffenen Erzeugerbetriebe überprüfen", heißt es.