Optische Täuschungen sorgen immer wieder für Begeisterung – online, aber auch im echten Leben. Manche haben sogar das Potenzial, die Gemüter zu spalten. Man denke nur an die Diskussionen um "das Kleid". War es nun weiß-gold oder doch blau-schwarz?
Manche tauchen in regelmäßigen Abständen immer wieder auf. Etwa die schwarz-weiße Coffer Illusion (siehe Bildstrecke oben). Sie ging vor einigen Jahren im Rahmen einer Challenge viral. Damals ging es darum, die richtige Anzahl Kreise darauf zu entdecken. Denn für die meisten Menschen – so machte es damals zumindest den Anschein – sind dort (zumindest auf den ersten Blick) ausnahmslos Rechtecke zu sehen.
Wie es zu der unterschiedlichen Wahrnehmung kommt, haben Forschende der Universität Harvard, der Arizona State University und der London School of Economics LSE untersucht (siehe Box). Sie kommen zu dem Schluss: Was wir sehen, hängt von unserer Herkunft ab. Demnach sehen Menschen, die in industrialisierten Gegenden mit vielen rechteckigen Strukturen aufgewachsen sind, in erster Linie Rechtecke. Personen, die in Regionen groß geworden sind, wo runde Strukturen vorherrschen, sehen dagegen Kreise.
So kam das Team zu dem Ergebnis
Die Forschenden ließen rund 500 Menschen zum Experiment antreten. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden stammte aus den USA oder Großbritannien. Die anderen aus dem Norden Namibias, wobei ein Teil aus der semi-urbanen Stadt Opuwo stammte. Bei den anderen handelte es sich um Angehörige der indigenen Himba, die vor allem runde Strukturen gewohnt sind. Ihnen allen präsentierten die Forschenden die Grafik. In einer ersten Runde fragten sie die Teilnehmenden, was sie sehen. Anschließend wollten sie noch wissen, ob die Probandinnen und Probanden noch eine weitere Form sehen.
So fielen die Antworten der drei Probandengruppen aus:
Das Team um Ivan Kroupin von der LSE vermutet, dass die unterschiedliche Wahrnehmung kulturellen Einflüssen wie der Architektur geschuldet ist, die die Menschen umgibt. Demnach erkennt man, was einem am bekanntesten ist. Die These ist als "Carpentered World Hypothesis" – "Gezimmerte-Welt-Hypothese" – bekannt, wurde aber bislang noch nicht gross untersucht (siehe Box).
Forschungslücke
Laut der Studie wird visuelle Wahrnehmung gemeinhin als ein universeller Mechanismus betrachtet, der bei allen Menschen gleich funktioniert. Diese weit verbreitete Annahme ist so tief verankert, dass die Wissenschaft bisher kaum Anlass sah, kulturelle Einflüsse auf die Wahrnehmung näher zu untersuchen.
Das US-britische Forschungsteam wertet die Ergebnisse nun als deutlichen Hinweis darauf, dass kulturelle Erfahrungen sehr wohl eine zentrale Rolle für die menschliche Wahrnehmung spielen. "Das unterstreicht die Bedeutung von Vielfalt", betont der Psychologe Michael Muthukrishna von der LSW gegenüber Science.org. "Wenn man versucht, sich ein vollständiges Bild von der Welt zu machen, sollte man sicherstellen, dass auch Menschen mit anderen Perspektiven dabei sind – etwa solche, die Kreise erkennen, während man selbst nur Rechtecke sieht."
Jules Davidoff, Psychologe an der Universität London, der nicht an der Studie beteiligt war, zeigt sich gegenüber Science.org von dem Studienergebnis beeindruckt: "Es gibt noch andere auffällige kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung, aber der hier gezeigte ist ein echter Knaller."
Noch ist die Arbeit nicht in einem Fachjournal publiziert. Sie ist als Vorabdruck auf dem Preprint-Server PsyArXiv veröffentlicht.