Für Grüne "komplett verkehrt"

Gewessler: "Wer Diesel verfährt, bleibt unangetastet"

"Wirklich komplett verkehrt herum" – so empfindet Grünen-Vizeklubchefin Leonore Gewessler im "Heute"-Talk die Sparpläne der Regierung.
Clemens Oistric
28.05.2025, 05:15
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Am 29.6. wird sie als Nachfolgerin von Werner Kogler zur neuen Chefin der Grünen gekürt. Das Sparpaket der Regierung lässt Ex-Umweltministerin Leonore Gewessler (47) Rot sehen – es sei "unsozial gestaffelt", kritisiert sie im großen "Heute"-Interview (in voller Länge als Video unten):

Gewessler im "Heute"-Talk

"Heute": Frau Gewessler, Sie waren fünf Jahre Bundesministerin. Jetzt sitzen Sie im Parlament auf der Oppositionsbank. Wie schwer fällt Ihnen der Rollenwechsel?

Leonore Gewessler: Ob in der Zivilgesellschaft, die letzten fünf Jahre in der Regierung oder nun im Parlament: Mich begleitet die letzten Jahrzehnte meines Lebens vor allem ein Thema: dass dieser Planet so schön und lebenswert bleibt – auch für die Generationen nach uns.

Sie waren einst Geschäftsführerin von GLOBAL 2000. Wie zufrieden wäre die Aktivistin Leonore Gewessler mit der nunmehrigen Berufspolitikerin Leonore Gewessler?

Eines hat sich unabhängig von meiner Rolle nie verändert – dass ich mit vollem Herzblut und Engagement für die Themen kämpfe, die mir wichtig sind. In den letzten fünf Jahren ist es gelungen, dass 1,6 Millionen Menschen mit dem Klimaticket unterwegs sind, Hunderttausende Heizungen getauscht wurden und unzählige Menschen mit ihrer Photovoltaik-Anlage eigenen, günstigen, heimischen Strom erzeugen. Ich glaube, da wäre ich auch bei GLOBAL 2000 zufrieden gewesen.

Video: Der komplette Talk mit Leonore Gewessler

Die ÖVP hat die Grünen in der Dreierkoalition gegen die Neos getauscht. Waren Sie zu mühsam?

Das ist eine Entscheidung der ÖVP, die ja alle möglichen Ringelspiele in den Koalitionsverhandlungen veranstaltet hat und einzelne Parteien ausgeschlossen hat, während sie zwischenzeitlich mit den Freiheitlichen kein Problem gehabt hat.

Die Bundesregierung fährt jetzt ein hartes Sparprogramm – kürzt Pensionen, streicht Jugendlichen das Klimaticket. Halten Sie die Maßnahmen für sozial ausgewogen?

Nein, das sagt auch der Budgetdienst des Parlaments. Die Menschen mit den geringsten Einkommen leisten den höchsten Beitrag zur Budgetkonsolidierung. Wir kürzen bei Klimaschutz, bei Kindern, bei Familien – aber wer Beton verbaut oder Diesel verfährt, bleibt – wie die großen Tech-Konzerne – unangetastet. Das ist wirklich komplett verkehrt herum. Ein Kürzen auf Kosten unserer Zukunft.

Das Defizit ist mit 4,7 Prozent der Wirtschaftsleistung enorm. Haben Sie nicht auch Anteil daran, weil sie in Ihrer Amtszeit das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen haben?

Diese Diskussion ärgert mich wirklich. Die ÖVP hatte über Jahrzehnte das Finanzministerium, jetzt mit dem Finger auf den Klimaschutz zu zeigen, ist nicht redlich. Es gibt keine Notwendigkeit, den Klimaschutz zu kürzen – es ist eine politische Entscheidung von ÖVP, SPÖ und NEOS zu sagen: Wer das Klima schützt, ist wieder der Dumme.

Ihr Herzensprojekt, der Klimabonus, kostete 4 Milliarden Euro. Einer der ungedeckten Schecks von Türkis-Grün …

Die CO2-Bepreisung war die Gegenfinanzierung für den Klimabonus.

Gewessler im Talk mit "Heute"-Chefredakteur Clemens Oistric
Sabine Hertel

Sie hat die Kosten aber nicht gedeckt.

Weil wir etwa im ersten Jahr Krisenhilfen draufgesetzt und ihn doppelt ausgezahlt haben. Die SPÖ wollte ihn jahrelang sozial staffeln. Was ist jetzt die Antwort der SPÖ? Sie schafft ihn ab. Das Budget ist unsozial gestaffelt. Menschen zahlen jetzt die CO2-Bepreisung, kriegen aber null Ausgleich. Mir war immer wichtig, dass das Geld zurückfließt, damit sich Klimaschutz lohnt. Aber auch nicht die draufzahlen, die mangels Alternativen nicht ausweichen können – zum Beispiel in Niederösterreich, weil dort der FPÖ-Verkehrslandesrat den Öffi-Ausbau nicht priorisiert.

Die SPÖ, die Sie jetzt hart kritisiert haben, heftet sich aber auf die Fahnen, Schlimmeres verhindert zu haben. Pendler würden etwa mit der Verdreifachung des Pendler-Euros auf sechs Euro entlastet. Ist das eine Maßnahme, der Sie etwas abgewinnen können?

Auch hier: Das Pendeln mit dem SUV in die Wiener Innenstadt wird billiger, das Klimaticket teurer. 18-Jährigen, denen wir das Klimaticket ein Jahr kostenfrei zur Verfügung gestellt haben, streichen wir diese Investition in die Zukunft. Das ist verkehrt.

Das Klimaticket wird 200 Euro teurer …

… das tut mir im Herzen weh.

„Die größte Regierungsbank, die Kabinettsmitarbeiter, die Dienstwagen – das hat eine desaströse Symbolik!“
Leonore GewesslerVize-Klubchefin, Die Grünen

Ist der Preis nicht noch immer attraktiv?

Die Leute fangen an zu rechnen, fragen sich: Lohnt es sich für mich noch. Das Klimaticket hat das Öffi-Fahren für so viele Menschen in diesem Land einfach, bequem und kostengünstig gemacht. Jeder, der es nützt, leistet einen Beitrag dafür, dass wir beim Klimaschutz vorankommen und ich danke allen dafür und hoffe, dass sie dem Klimaticket treu bleiben.

Wir haben jetzt viel über Sparmaßnahmen gesprochen. Auf der anderen Seite leisten wir uns eine XXL-Bundesregierung mit 21 Mitgliedern. Halten Sie das für die richtige Symbolik in Sparzeiten?

Ich verstehe, wenn die Menschen verärgert sind, dass die Mindestpensionistin höhere Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss. Auf der anderen Seite muss sie dann Diskussionen mitverfolgen, dass ein Dienstwagen nicht genug Beinfreiheit hat. Die größte Regierungsbank, die Kabinettsmitarbeiter, die Dienstwagen – das hat eine desaströse Symbolik!

Sie haben ein Monsterministerium geführt. Heute braucht es drei Minister, die Ihren Job machen: Peter Hanke den des Verkehrsministers, Wolfgang Hattmannsdorfer den des Energieministers und Norbert Totschnig den des Landwirtschaftsministers. War das Ressort in der bisherigen Größe unführbar?

Nein, im Gegenteil. Es war in dieser Zusammensetzung die Chance, Klimaschutz in Österreich möglich zu machen. Wenn wir ihn ernsthaft angehen, muss man in der Energiepolitik umdenken und in der Mobilität neue Wege beschreiten. Was jetzt passiert, ist ein Zurück in die Vergangenheit: Der Klimaschutz wird wieder ein Anhängsel der Landwirtschaft – das hat schon Jahrzehnte davor nicht funktioniert. Und bei der Mobilität gibt es wieder Beton, Beton, Beton statt Investitionen in den öffentlichen Verkehr.

Jetzt braucht es dafür drei Männer …

Das war die Entscheidung dieser Bundesregierung. Ich kann allen dreien versprechen, ich werde sie nicht aus der Verantwortung lassen!

Apropos: Wissen Sie, was ein Staatssekretär für Deregulierung im Außenamt bewegen soll?

Das wird Sepp Schellhorn erklären müssen. Es ist zumindest ein ungewöhnlicher Amtssitz.

„Wenn man 18-Jährigen das Klimaticket nicht gönnt, sich selbst aber eine größere Limousine, dann stimmt etwas nicht zusammen.“

In einer aktuellen "Heute"-Umfrage wollen 52 Prozent Politikern die Dienstautos streichen. Können Sie dem Vorstoß etwas abgewinnen?

Ich habe als Ministerin auf Dienstwagen und Chauffeur verzichtet. Einerseits, weil ich gerne Bahn und Öffis fahre, andererseits war es eine Möglichkeit für spannende Gespräche. Einfach eine Erdung im realen Leben. Ich will niemandem vorschreiben, wie er oder sie die Mobilität löst. Aber wenn man 18-Jährigen das Klimaticket nicht gönnt, sich selbst aber eine zweite, noch größere Limousine, dann stimmt etwas nicht zusammen. Ich verstehe, wenn das Menschen so sehen.

Wofür sollen denn die Grünen in Zukunft stehen?

Ich bin derzeit in ganz Österreich unterwegs, mache eine Gasthaus-Tour und höre genau zu. Einfach nur zusammensitzen, jausnen und etwas zu trinken und ein gutes Gespräch. Das ist auch eine Einladung an die Menschen in unserem Land: Mitzureden – und zu sagen, was sie sich von den Grünen erwarten.

Was die Leute an den Stammtischen extrem aufregt, sind exorbitante Sozialleistungen von bis zu 9.000 Euro monatlich für Großfamilien. Braucht es eine Reform?

Wir haben schon vielfach gesagt, es braucht eine einheitliche Lösung in Österreich.

Ich spreche von der Höhe.

Kein Kind in diesem Land soll in Armut aufwachsen. Das schaffen wir am besten, wenn wir die sozialen Sicherungssysteme in diesem Land einheitlich auslegen und ausarbeiten.

Gewessler will am 29.6. zur Kogler-Nachfolgerin an der Grünen-Spitze gekürt werden.
Sabine Hertel

Frau Gewessler, es wirkt, als hätten sich die Grünen thematisch in den letzten Jahren sehr auf das Klimathema verengt. Wie werden Sie das anlegen, sollten Sie am 29.6. zur Grünen-Bundessprecherin gewählt werden?

Die Menschen können sich beim Klimaschutz auf uns verlassen. Da fallen wir nicht um – auch nicht, wenn der Wind von vorne bläst. Ich möchte eine grüne Partei, die fest an der Seite der Menschen steht – nicht nur beim Klimaschutz, sondern auch, wenn sie Sorge um den Kindergartenplatz, ihren Arbeitsplatz oder über die Wirtschaftsentwicklung haben.

Sehen Sie die Grünen eher als Partei, die anderen auf die Finger schaut oder die mittelfristig das Land mitgestaltet?

Wir können regieren, aber auch Opposition. Jetzt ist Kontrolle wichtig – allerdings mit dem großen Antrieb, dass es der Generation nach uns mindestens genauso gut, vielleicht auch mal wieder besser, geht wie uns. Das ist auch ein Anspruch auf Gestaltung, ja …

Mit welchem Ergebnis wären Sie bei der Wahl zur Grünen-Bundessprecherin zufrieden?

Werner Kogler hat die Ergebnisse auf grünen Parteikongressen in ungeahnte Höhen gehoben. Ich trete also in große Fußstapfen und bin schon sehr zufrieden, wenn ich am 29.6. nicht meilenweit davon entfernt bin.

Werden Sie danach auch Grünen-Klubobfrau im Parlament?

Bei den Grünen ist es eine gewählte Funktion. Ich werde kandidieren, um auch den Klubvorsitz zu übernehmen.

Frau Abgeordnete, vielen Dank für das Gespräch.

{title && {title} } coi, {title && {title} } Akt. 28.05.2025, 23:44, 28.05.2025, 05:15