Der Druck ist riesig, die Krise real, aber ein bisschen süßes Ferrari-Leben gab es dann doch für Lewis Hamilton. Im Herzen von Mailand warteten Tausende in Rot, es gab Autogramme und Fotos, und am Ende stieg der Rekordweltmeister auf den Balkon des Königlichen Palastes und sprach zum Volk.
"Incredibile", rief Hamilton ins Mikrofon, und "forza Ferrari: Wir brauchen diese Energie am Wochenende!" Denn am Sonntag (15.00 Uhr/ServusTV, Sky und im Ticker) in Monza steht für Hamilton das wichtigste Rennen dieses so schwierigen ersten Jahres bei der Scuderia an.
Und als wäre die Gegenwart nicht schon Herausforderung genug, sorgt nun auch noch die Geschichte für Fallhöhe: Der Sonntag in Monza soll bitteschön ein Feiertag werden, denn auf den Tag genau 50 Jahre zuvor gewann Niki Lauda seinen ersten WM-Titel in Rot auf eben dieser Strecke. Ferrari tritt daher mit einer Spezial-Lackierung an und erinnert an den 2019 verstorbenen Österreicher.
Gerade für Hamilton wird Monza zur Bewährungsprobe. Wegen eines Vergehens in Zandvoort muss er fünf Startplätze zurück – kein guter Start ins Rennen um seinen ersten Podestplatz im Ferrari. Damit nähert sich Hamilton einem Negativ-Rekord: Didier Pironi blieb 1981/82 in seinen ersten 18 Ferrari-Rennen ohne Podestplatz.
Der Europa-Abschied in Monza ist schon das 16. von 24 Saisonrennen. Für Shanghai-Sprintsieger Hamilton wird die Zeit langsam knapp. Doch der 40-Jährige bleibt optimistisch: "Obwohl wir nicht da sind, wo wir sein wollen, bin ich zuversichtlich, dass es in die richtige Richtung geht." In der Konstrukteurs-WM liegt Ferrari mit 260 Punkten auf Rang zwei – satte 324 Zähler hinter McLaren, aber nur zwölf vor Mercedes und 46 vor Red Bull.
Am vergangenen Wochenende in den Niederlanden drückte das Doppel-Aus für Charles Leclerc und Hamilton gewaltig auf die Stimmung, in der WM-Wertung belegen die beiden nur die Plätze fünf und sechs.
Besonders Hamiltons Leistungen werden zunehmend kritisch gesehen. Sein Unfall in Zandvoort entsprang einem Anfängerfehler, und weil er dort zudem unter Gelber Flagge zu schnell unterwegs war, muss er in der Startaufstellung von Monza fünf Plätze zurück. Die Tifosi sind weiterhin bedingungslos zugeneigt, das zeigte der Abend am Mailänder Dom, auch das Rennwochenende ist mit 350.000 Fans ausverkauft.
Doch Italiens Presse geht zunehmend ruppig mit diesem teuren Neuzugang um. "Die größte Investition in Ferraris jüngster Geschichte ist vielleicht rentabel bei der Sponsorensuche", schrieb der Corriere della Sera zuletzt: "Sportlich hat sie sich bisher jedoch als Desaster erwiesen."
Die Geduld ist also endlich rund um Ferrari, selbst mit diesem prominentesten Formel-1-Fahrer der Gegenwart. Das sieht auch Teamchef Fred Vasseur, und er fordert mehr Zeit. Die Umstellung für Hamilton nach rund 20 Jahren bei McLaren und Mercedes werde gemeinhin "unterschätzt". Die Erwartungen seien "riesig, wir müssen sie managen", es gelte, die erfolgreicheren Zeiten vorzubereiten.
Der Blick bei der Scuderia geht vor allem in die Zukunft, im kommenden Jahr greift ein komplett neues Reglement, zudem kennen Hamilton und das Team sich dann besser. Anstrengungen für die laufende Saison stehen weniger im Mittelpunkt - Monza bildet allerdings die große Ausnahme.
Die Hochgeschwindigkeitsstrecke stellt andere Anforderungen an die Autos als die meisten im Kalender, und Ferrari hat sich darauf offenbar vorbereitet. Erwartet wird ein aggressives Update in Form eines neuen Heckflügels, denn ein Triumph in Monza kann selbst eine solche Saison retten. Vorbild ist das vergangene Jahr: Damals gelang Leclerc ein überraschender, emotionaler Sieg dank starker Strategie.
Mindestens eine solche braucht auch Hamilton am Sonntag, der Weg in Richtung Podest wird durch die Startplatz-Strafe noch weiter als ohnehin meist. Zumindest am Mittwochabend in Mailand war das aber ein bisschen egal, es wurde groß geträumt. "Siege mit den anderen Teams sind auch fantastisch", rief Hamilton den Fans zu: "Aber nichts ist wie Ferrari."