In den vergangenen Wochen kamen immer mehr Misshandlungsvorfälle an mehreren SOS-Kinderdorf-Einrichtungen ans Licht. Neben Moosbrug, Seekirchen und Imst reiht sich nun ein weiterer Standort in die traurige Serie ein.
Diesmal geht es um abscheuliche Geschehnisse, die sich im SOS-Kinderdorf im steirischen Stübing zugetragen haben sollen. Ehemalige Adoptivkinder berichten von schweren Misshandlungen.
Eines dieser ehemaligen Kinder ist der Grazer Anton B. Wie die "Kleine Zeitung" berichtet, kam es mit sieben Monaten ins SOS-Kinderdorf nach Stübing und wuchs dort zwischen 1969 und 1984 auf. Eine Kinderdorf-Mutter habe ihn gepeinigt und geschlagen. Oft soll sie Kinder zur Bestrafung 45 Minuten in einen dunklen Keller gesperrt haben. Auch an Faustschläge, die Abdrücke des Rings der Kinderdorf-Mutter hinterließen, erinnert sich der Grazer.
Zudem sei er von einem erwachsenen Kinderdorf-Zögling, der oft zu Besuch kam, befummelt worden. Zwei andere Heimkinder soll er von den Augen von Anton B. vergewaltigt haben. Die Vorfälle seien allesamt unter den Teppich gekehrt worden.
Die Zeit im Kinderdorf habe bei dem Mann tiefe Spuren hinterlassen. Erst im Jahr 1984 habe er in einem SOS Kinderhaus in Graz Unterstützung bekommen. Trotzdem konnte er die Zeit in Stübing wohl nie ganz hinter sich lassen. B. wurde obdachlos, mit großer Mühe und Hilfe eines Sozialarbeiters konnte er eine Lehre als Einzelhandelskaufmann absolvieren.
Doch Alkohol, Arbeitslosigkeit und Berufsunfähigkeit belasteten ihn in seinem Leben weiter. Vor drei Jahren meldete er sich schließlich beim Gewaltschutzzentrum. Dort gibt es eine Anlauf- und Clearingstelle für Heimopfer, deren Fälle strafrechtlich verjährt sind. Laut Leiterin Marina Sorgo, sei es nicht untypisch, dass die Opfer sich erst spät melden. Die versuchte Verdrängung der Gewalterfahrungen spiele hier eine große Rolle.
Sorgo zufolge würden alle Fälle sorgfältig von Gutachtern geprüft. Bei einer Anerkennung erhalten Opfer bis zu 25.000 Euro vom Land Steiermark, die Übernahme von möglichen Therapiekosten sowie auf Wunsch ein Entschuldigungsschreiben vom Landeshauptmann.
Auch B. hat 15.000 Euro vom Land und vom SOS-Kinderdorf erhalten. Laut Sorgo sei SOS-Kinderdorf die einzige Einrichtung, die selbst Geld für Entschädigungen und Therapiekosten in die Hand nehme. Die Leiterin des Gewaltschutzzentrums weiß von mittlerweile knapp 2000 anerkannten Fällen. Hierfür habe das Land mehr als 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Auch eine weitere ehemalige Bewohnerin des SOS-Kinderdorfs in Stübing hat sich gegenüber der "Kleinen" geäußert. Sie sei bei einer anderen Kinderdorf-Mutter aufgewachsen, die Grazerin berichtet allerdings von ähnlichen Vorfällen. Auch sie habe Geld als Entschädigung erhalten – ganze 28.000 Euro sowie ein Entschuldigungsschreiben. Mit Geld ließe sich jedoch nicht "alles zurechtrücken", so die Steirerin. Ihr wäre eine ernste Aufarbeitung der Vorfälle lieber gewesen. Auch das standardisierte Entschuldigungsschreiben mache die Situation nicht besser.
Sie sei mit drei Jahren nach Stübing gekommen, im Alter von fünf sei sie "ausgepeitscht" worden. Als sie zwölf Jahre alt war, wurde sie zum ersten Mal vergewaltigt. Insgesamt dreimal sei sie von verschiedenen Männern sexuell missbraucht worden. Nun hoffe sie, dass "alles schonungslos aufgedeckt wird". Die Grazerin habe das Erlebte bis zum heurigen Jahr verdrängt, sich dann aber doch beim Gewaltschutzzentrum gemeldet. Laut eigener Aussage habe es für die heute 51-Jährige doch ein kleines Happy End gegeben. Sie sei selbst "Mutter von drei glücklichen Kindern".