Es ist vergleichsweise selten geworden, dass sich der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz zu politischen Themen zu Wort meldet. Für das ServusTV-Format "Blickwechsel. Das Nachrichtenmagazin" (Ausstrahlung am Donnerstag, ab 21.15 Uhr) macht der frühere ÖVP-Politiker eine Ausnahme.
Kurz nimmt sich in dem Talk kein Blatt vor den Mund, im Fokus steht die Asyl- und Migrationspolitik – früher und heute. Über das Jahr 2015 sagt Kurz: "All jene, die sich moralisch überlegen gefühlt haben, haben ein System unterstützt, das zu sehr vielen Toten im Mittelmeer geführt hat. Das ist das Schreckliche dran". Es sei "Selbstbetrug" gewesen, so zu tun, "als wären alle (Menschen, die nach Europa kommen; Anm.) überdurchschnittlich ausgebildet."
Der gewählte politische Zugang sei "falsch" gewesen. "Es war unverantwortlich, es hat dazu geführt, dass Europa massiv überfordert wurde." Kurz kritisiert auch die Rolle Deutschlands – Bundeskanzlerin Merkel ging mit dem Satz "Wir schaffen das " in die Geschichte ein – denn kleine Länder entlang der Balkanroute hätten "Angst vor der deutschen Bestrafung" gehabt.
Zur Rolle Österreichs führt Kurz aus, dass man "auf der richtige Seite" stand. Er sei froh, "dass wir robust geblieben sind und uns nicht haben drängen lassen".
Auf die heutige Asyl- und Migrationspolitik angesprochen, sagt Kurz, dass Pushbacks und Grenzzäune "natürlich richtig" seien. "Europa ist restriktiv bei qualifizierten Personen, zeitgleich aber offen für alle, die illegal kommen. Das gibt es in keinem anderen Teil der Welt, so kann es nicht funktionieren", kritisiert er den vermeintlichen Status quo.
Er würde es den Mut der Politik wünschen, "etwas disruptiver an die Sache ranzugehen, um gesetzliche Regelungen an die aktuelle Situation anzupassen." Apropos gesetzliche Regelungen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wonach ein Staat nur dann als sicher gilt, wenn die gesamte Bevölkerung vor Verfolgung geschützt ist, nicht nur bestimmte Gruppen, nennt der frühere Regierungschef "absurd".
Aktuell könne relativ wenig gegen illegale Migration getan werden. Solange man zulasse, dass das Rechtskonstrukt so bleibt, wie es ist, werde die Situation schlechter und nicht besser. Europa könne nur mit sicheren Grenzen nach außen funktionieren. Mit Blick auf Österreich führt Kurz aus, dass ein Sozialstaat automatisch überfordert sei, "wenn man Menschen aus aller Welt in den Sozialstaat zuwandern lässt."
Rückblickend auf seine Zeit in der Politik sagt Kurz, dass er alle Koalitionen erlebt habe, "mit der FPÖ war es die beste Zeit". Die Regierung mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache beschreibt Kurz als "erfolgreich" und auf die Frage, ob er wieder eine Koalition mit der FPÖ eingehen würde, sagt er "ja, sicher".
Dass es Anfang des Jahres nicht zu einer Neuauflage (mit getauschten Rollen, Anm.) zwischen den beiden Parteien gekommen ist, sei zur Kenntnis zu nehmen. Er habe damals gehofft, dass bei den Verhandlungen ein Ergebnis rauskommt.
Ob er sich vorstellen könne, in die Politik zurückzukehren, war ebenfalls Thema. Doch Kurz block ab: "Ich habe keine Lust darauf, wieder ein politisches Amt zu übernehmen", so der 39-Jährige. Er gibt aber zu, dass es Anfang Jänner Diskussionen, Überlegungen und Gespräche diesbezüglich gegeben habe. "Aber es war für mich die richtige Entscheidung, es nicht zu machen".
Der TV-Sender hat im Zuge der Sendung mit Sebastian Kurz im Vorfeld beim Meinungsforschungsinstitut OGM eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Auf die Frage: "Wie hat sich seit der Migrationswelle des Jahres 2015 Ihr persönliches Sicherheitsgefühl verändert", erklären 63 Prozent der Befragtem, dass sie sich unsicherer fühlten. Aufgeschlüsselt nach Parteienpräferenzen galt die für 88 Prozent der FPÖ-Wähler, aber nur für 18 Prozent der Grün-Wähler" Zum Vergleich: Drei Prozent der FPÖ-Wähler geben an, sich sicherer als noch vor zehn Jahren zu fühlen – am höchsten ist dieser Wert übrigens bei SPÖ-Wählern (12 Prozent).