Kampf gegen "Holzmafia"

"Lauschangriff" soll letzte Urwälder Europas retten

Einst war fast ganz Europa von Urwäldern bedeckt. Nur noch 1 % ist heute davon übrig. Mit High-Tech-Lauschgeräten sollen sie geschützt werden.
Nick Wolfinger
13.11.2025, 14:46
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2025 könnte eigentlich ein Jubeljahr für den Naturschutz in Rumänien sein. Der Retezat-Nationalpark im Karpaten-Gebirge, einem der letzten Urwälder Europas, feiert seinen 90. Geburtstag. Zum Vergleich: Der älteste Nationalpark Österreichs in den Hohen Tauern wurde 1981 gegründet und ist erst 44 Jahre alt.

IKEA & Co: Urwald-Holz landet in unseren Wohnzimmern

Doch die allgegenwärtige Korruption in dem osteuropäischen Land hat in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Aushöhlung des Schutzes geführt. Vor allem seit dem EU-Beitritt im Jahr 2007 nimmt der Druck auf die großen, ursprünglichen Waldgebiete in den Karpaten stetig zu. Die jahrhundertealten Bäume sind vor allem in der Möbelindustrie heiß begehrt.

Jahrhundertealte Bäume wie dieser sind bei der Möbelindustrie heiß begehrt – und setzen die letzten Urwälder Europas unter massiven Druck der Möbelindustrie.
Youtube/@planet-wild, Agent Green

So ist es kein Wunder, dass sich zahlreiche internationale Holzverarbeiter in Rumänien angesiedelt haben. Zu den größten Nutznießern der Urwald-Rodungen zählen etwa der schwedische Möbelkonzern IKEA, wie Greenpeace erst im September wieder in einer Untersuchung aufgezeigt hat, aber auch österreichische Holzkonzerne wie HS Timber und Kronospan"Heute" berichtete.

„Wir haben Beweise dafür, dass IKEA Warnungen, wertvolle und schutzbedürftige Wälder zu meiden, bewusst ignoriert“
Robert CyglickiGreenpeace CEE

"Die IKEA-Zulieferer beziehen Holz aus den artenreichsten Lebensräumen Europas, darunter einem der letzten Urwälder der Karpaten – Das steht in krassem Widerspruch zu den Behauptungen des Unternehmens über verantwortungsvolle Forstwirtschaft, nachhaltige Beschaffung und das Engagement für den Schutz der Biodiversität", so Robert Cyglicki, Leiter des Bereichs Biodiversität bei Greenpeace Mittel- und Osteuropa.

Neue Allianz gegen die "Holzmafia"

Eine neue Allianz aus Umweltschützern rund um die rumänische NGO "Agent Green", den Youtubern von "Planet Wild" und dem Münchner Tech-StartUp "Hula Earth" startet nun mit zehn speziell angefertigten Abhörgeräten ein Pilotprojekt in Rumänien, um einen der letzten Urwälder vor seiner Zerstörung zu retten.

In einem Crowdfunding-Projekt hat "Planet Wild" 80.000 Euro gesammelt, die das Projekt vorerst für zwei Jahre finanzieren. Inkludiert ist dabei für das erste Jahr auch ein Ranger, der in dem "abgehörten" Gebiet patrouilliert und bei einem Alarm ausrückt.

Baumschützer überlebte Anschlag

Bereits seit 1999 kämpft der Rumäne Gabriel Paun an vorderster Front für den Erhalt des "Zentrums der Biodiversität Europas", wie er die letzten Urwälder Europas nennt. Er gründete die Waldschutz-Organisation "Agent Green", der auf Facebook über 200.000 Menschen folgen.

„Wir müssen nicht um die Welt reisen, um anderswo für die Natur zu kämpfen. Kämpfe für die Natur dort, wo du lebst.“
Gabriel PaunUmweltaktivist, Gründer der NGO "Agent Green"

Die NGO dokumentiert illegale Rodungen und deckt auf, wie Behörden und Politiker die Verstöße gegen Umweltschutzauflagen nicht nur decken, sondern auch daran verdienen. Sein Einsatz kostete ihn beinahe das Leben. Vor zehn Jahren überlebte er einen Gift-Anschlag, wie er unlängst in einer ARD-Reportage zur "Holzmafia" in Rumänien erzählte.

Für seine Arbeit erhielt er zuletzt den "Champions of the Earth"-Umweltpreis 2024. Er will mit seiner Arbeit auch Bewusstsein dafür wecken, dass der Kampf für den Erhalt der Natur nicht nur in fernen Ländern stattfindet.

Umweltministerium schützt Wälder nicht

"Für die Holzindustrie in Rumänien sind die Urwälder des Landes die letzten Flächen, die sie umschneiden können, weil der Rest bereits so stark abgeholzt wurde. Und die Regierung hilft ihnen dabei: Allein von 2021 bis 2024 hat das Umweltministerium die Abholzung von 4,7 Millionen Kubikmeter Holz aus Urwäldern genehmigt. Das entspricht einer Kette von Lkws mit Baumstämmen, die von Amsterdam bis Bukarest reicht", erzählte Paun im Vorjahr am Rande der Wiener "Erdgespräche" dem "Standard".

Das grundlegende Problem: Urwald-Bäume (l.) liefern robusteres Holz für große Möbel – und deren Rodung ist auch noch deutlich billiger als eine Nutzwald-Monokultur (r.), erklären die Umweltschützer von "Planet Wild" in ihrem Video zu "Mission 31".
Youtube/@planet-wild

"Leider können Bäume nicht um Hilfe rufen"

Das grundlegende Problem seiner Arbeit: Meistens fallen illegale Rodungen erst auf, wenn die Bäume bereits weg sind. "Leider können die Bäume nicht um Hilfe rufen", stellten die Waldschützer ernüchtert fest – und kamen auf eine Idee.

Bereits 2017 wurde in einem Pilotprojekt namens "Screaming Trees" erstmals damit begonnen, Smartphones zu wetterfesten, mit Funkverstärkern und Solaranlagen zur Stromversorgung ausgestatteten "Abhörstationen" auszubauen und in den Baumkronen von ganz besonders gefährdeten Waldgebieten aufzustellen.

Erfolgreiches Vorgängerprojekt

Das Projekt war höchst erfolgreich, wie Paun am Telefon gegenüber "Heute" erzählt: "Jedes Mal, wenn der örtliche Ranger einen Alarm erhielt, war er binnen kürzester Zeit vor Ort und konnte die Holzfäller, die völlig überrascht waren, stoppen (…) Nach drei, vier Vorfällen mieden die Holzfäller das Gebiet". Da die Geräte jedoch äußerst improvisiert hergestellt waren und die Wartung schwierig war, fielen sie im Laufe der Jahre aus.

Münchner Start-Up liefert Technik

Für das neue Projekt, "Mission 31", wurde für den Bau, die Lieferung und den Betrieb der Abhörgeräte das junge Münchner Start-Up Hula Earth beauftragt. Sie lieferte die ersten zehn Geräte, die nun in einem besonders gefährdeten Gebiet mit jahrhundertealten Bäumen, die in der Möbelindustrie besonders begehrt sind, in den Baumwipfeln aufgehängt wurden.

Waldabhörgerät von "Hula Earth" aus München
Youtube/@planet-wild, Hula Earth

Geräte erkennen Motorsägen – und identifizieren Vogelarten

Die Geräte können mit ihren Mikrofonen Geräusche im Umkreis von 500 Metern wahrnehmen und können dank KI Motorengeräusche von Kettensägenlärm unterscheiden. Zur Stromversorgung ist es mit einem Solar-Panel verbunden. Die Datenverbindung wird via Satellit hergestellt.

Zudem kann das System auch Vogelgesang und Tierlaute den jeweiligen Arten zuordnen – und hilft damit den Umweltschützern zusätzlich, die Bedeutung des Waldes für die Artenvielfalt zu untermauern. 300 Hektar decken die Geräte in den Retezat-Bergen derzeit ab.

Die Geräte von Hula Earth erkennen nicht nur Motorsägenlärm, sie identifizieren mit Hilfe von KI auch zahlreiche Vogel- und andere Tierarten.
Youtube/@planet-wild

Erkennt die Software Kettensägen, wird ein Alarm ausgelöst. Wie beim Vorgängerprojekt "Screaming Trees" eilt dann der für den Waldabschnitt eingeteilte Ranger sofort zum Ort des Geschehens und stellt die Holzfäller im Idealfall noch bevor die Rodung so richtig begonnen hat. Gelingt das nicht, dokumentiert er die Rodung mit einer Kamera, um Beweismaterial zu sammeln.

Ranger soll Holzfäller stoppen

Große Hoffnungen

Angesichts der bisherigen Erfahrungen ist Paun optimistisch, auf den 300 Hektar im Retezat-Gebirge die Holzfäller stoppen zu können. "Das Projekt ist erst in der Anfangsphase", so Paun zu "Heute", aber wenn es erfolgreich ist, könnte es bald in vielen weiteren bedrohten Wäldern, wie etwa dem ebenfalls vor einigen Jahren in die Schlagzeilen geratenen Białowieża-Urwald im Grenzbereich von Belarus und Polen, Schule machen.

{title && {title} } NW, {title && {title} } Akt. 13.11.2025, 15:21, 13.11.2025, 14:46
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