Unfair, gemein und schlecht im Kommunizieren: Viele Vorgesetzte sind schlechte Manager. Doch es geht auch anders: Bei der Luzerner Softwarefirma Apptiva gibt es seit der Gründung vor zehn Jahren keine Chefinnen und Chefs, wie es in einer Medienmitteilung heißt.
Die Firma begann als Drei-Mann-Unternehmen und wuchs seither auf elf Angestellte an. Einer der drei Gründer ist Philip Schönholzer. Er sagt: "Wir haben nie Chefs gebraucht. Bei uns übernehmen alle Verantwortung. Das macht uns schnell, kreativ – und ehrlich gesagt auch glücklicher."
Wie funktioniert das sogenannte Holocracy-Modell, bei dem alle mitbestimmen können? "20 Minuten" fragte bei Marketingleiterin Sarah Wechsler (30) nach. Sie ist seit zwei Jahren in dem Unternehmen und damit eine der Neuesten im Team. Wechsler gibt Einblick in die Arbeitsweise.
Wer entscheidet?
"Jeder kann seine eigenen Ideen umsetzen oder etwas an der Strategie ändern. Einzige Bedingung: Zuerst gibt es einen Beratungsprozess, bei dem alle Betroffenen in der Firma um Rat gefragt werden müssen. Wenn alle eine Idee schlecht finden, kann ich sie trotzdem umsetzen, wenn ich das möchte. Ich muss aber zu hundert Prozent dahinterstehen und Verantwortung dafür übernehmen."
Führt das zum Chaos?
"Nein, wenn jemand meine Idee kritisiert, nehme ich die Kritik zum Anlass, meine Idee zu reflektieren. Wir sind alle verantwortlich dafür, dass es der Firma gut geht, und wissen, wie es um die Finanzen steht. Ich sah Potenzial in einer neuen Website, dafür habe ich alle Mitarbeitenden um Rat gefragt. Wenn wir die Zeit und das Geld zu diesem Zeitpunkt dafür nicht gehabt hätten, dann hätte ich es nicht gemacht. Aber unserer Firma geht es sehr gut."
Was ist, wenn jemand nicht auf die Ratschläge hört?
"Wir geben uns jeden Montagmorgen in wechselnden Zweierteams Feedback. Dann können wir so etwas ansprechen. Aber unser System braucht die richtigen Leute, damit es funktioniert. Wir müssen einander vertrauen können."
Wer entscheidet über neue Mitarbeiter?
"Das können alle. Je nachdem, welche Personen mit dem neuen Teammitglied zusammenarbeiten. Wir haben jetzt eine Stelle im Verkauf ausgeschrieben. Ob die Person ins Team passt, entscheiden deshalb zwei Softwareentwickler und ich."
Wie lange arbeiten die Mitarbeiter bei Ihnen?
"Letztes Jahr hat erstmals jemand die Firma aus persönlichen Gründen verlassen. Sonst sind bisher alle geblieben. Ich finde es sehr befreiend ohne Hierarchien und möchte das alte System lieber nicht mehr zurück. Im Privaten entscheiden wir auch jeden Tag für uns selbst."
Was ist bei Konflikten?
"Wir haben einen Konfliktbewältigungsprozess. Wer ein Problem mit jemandem hat, muss in der ersten Phase versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Wenn das nicht funktioniert, ernennen sie einen Mediator, dem beide vertrauen und der vermitteln soll. Wenn auch das scheitert, dann muss ein Gremium darauf achten, dass die beiden eine Lösung finden. Bisher klappte das noch immer."
Dauern Sitzungen ewig, wenn jeder etwas sagt?
"Nein, bei jeder Sitzung muss jemand Moderator sein, der darauf achtet, dass die Zeit eingehalten wird."
Was sagen die Kunden dazu?
"Wir fragen sie immer wieder nach Feedback. Sie schätzen es, dass wir jeweils schnell entscheiden können, ohne Vorgesetzte fragen zu müssen."
Wer bekommt wie viel Lohn?
"Wir entscheiden selber über unseren Lohn. Weil alle sehen, wie viel die anderen bekommen, geben wir uns keine überrissenen Löhne. Wenn ich eine Lohnerhöhung ansprechen möchte, sollte ich gute Argumente dafür haben. Es kommt auch vor, dass wir Kolleginnen und Kollegen mal den Rat zu einem höheren Lohn geben, weil sie das verdient haben."
Wie hoch ist Ihr Lohn?
"Wir von Apptiva sind untereinander sehr transparent, aber nach außen möchte ich das nicht kommunizieren."
