Alte und Jugendliche betroffen

Pflegenotstand eskaliert: Rekord an Zwang und Sedierung

Der Mangel an Pflegekräften nimmt neue Ausmaße an. Pflegeeinrichtungen schlagen Alarm, wegen fehlenden Optionen werden Bewohner stark eingeschränkt.
Wien Heute
30.07.2025, 11:42
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Seitenteile am Bett, versperrte Räume, Festhalten gegen den Willen, Fixierungsgurte im Rollstuhl oder sedierende Medikamente – von solchen Maßnahmen in Pflegeeinrichtungen berichtet das VertretungsNetz. Der Grund dafür: akuter Personalmangel. Dieser führe zu immer häufigeren Eingriffen in die Grundrechte der betreuten Personen.

Neues Hoch an Zwangsmaßnahmen

Eigentlich sind solche drastischen Maßnahmen nur dann erlaubt, wenn eine ernsthafte und erhebliche Gefährdung droht – und auch nur, wenn keine Alternativen oder gelinderen Mittel zur Verfügung stehen. Doch seit einigen Jahren steigen die Meldungen über Freiheitsbeschränkungen merklich an. 2024 wurde ein neuer Höchststand erreicht. Die Bewohnervertretung prüft solche Maßnahmen im Auftrag des Justizministeriums auf Grundlage des Heimaufenthaltsgesetzes.

"Die Einrichtungen haben im Jahr 2024 rund 60.200 Freiheitsbeschränkungen neu an uns gemeldet – fast 22.100 Personen waren von einer oder mehreren Maßnahmen betroffen“, erklärt Grainne Nebois-Zeman, Fachbereichsleiterin der Bewohnervertretung bei VertretungsNetz. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einem Anstieg von fünf Prozent, im Dreijahresvergleich sogar einem Plus von 32 Prozent – eine alarmierende Entwicklung.

Altersheime besonders besorgniserregend

Dass sich der Personalmangel negativ auf die Pflegeeinrichtungen auswirkt, ist laut Nebois-Zeman eindeutig. Unter dem Druck und der hohen Fluktuation in der Branche leiden nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die Bewohnerinnen und Bewohner. Diese können seltener mobilisiert werden. "Wir sehen als Folge mehr Einschränkungen bei Lebensqualität und Grundrechten", so Nebois-Zeman.

Besonders besorgniserregend ist die Situation in Alten- und Pflegeheimen. Knapp die Hälfte aller Meldungen wird hier verzeichnet, rund 30.400 neu angeordnete Maßnahmen wurden der Bewohnervertretung gemeldet. 71 % aller Beschränkungen entfallen auf sedierende Medikamente gegen Unruhe und Bewegungsdrang, auch Bettseitenteile und Gurtsysteme im Rollstuhl kommen in den letzten Jahren wieder häufiger zum Einsatz. Pflegekräften bleibt im stressigen Arbeitsalltag zu wenig Zeit, um über Alternativen nachzudenken.

Auch Kinder stark betroffen

Die Bewohnervertretung überprüft auch Freiheitsbeschränkungen bei Kindern und Jugendlichen, wenn sie in Einrichtungen wohnen oder eine Sonderschule besuchen. Im Jahr 2024 wurden rund 6.800 neue Maßnahmen an VertretungsNetz gemeldet und von der Bewohnervertretung überprüft. Solche Meldungen erfolgen etwa dann, wenn Betreuende Psychopharmaka verabreichen oder Kinder während sogenannter Impulsdurchbrüche körperlich festhalten oder fixieren. Laut Bewohnervertretung gibt es hier besondere Herausforderungen. Nebois-Zeman erklärt: "Wir sehen, wie enorm gefordert die Betreuer:innen sind – der Druck ist hoch. Dennoch: Zwangsmaßnahmen an Kindern und Jugendlichen hinterfragen wir immer besonders genau – ob sie wirklich notwendig sind." Insgesamt waren im Jahr 2024 rund 2.123 Kinder und Jugendliche von einer oder mehreren Freiheitsbeschränkungen betroffen.

{title && {title} } red, {title && {title} } 30.07.2025, 11:42
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