Treffen in der Schweiz

"Trump hat alle Trümpfe in Putins Hände gespielt"

Am Sonntag treffen sich Vertreter der USA, der Ukraine und Europas in Genf, um über den 28-Punkte-Plan zu verhandeln.
20 Minuten
23.11.2025, 10:28
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben
Hör dir den Artikel an:
00:00 / 02:45
1X
BotTalk

Ein eilig einberufenes Treffen in Genf zwischen Delegationen der Ukraine, der USA und Europas soll Aufschluss darüber bringen, wie es für die Ukraine weitergeht. Osteuropa-Experte Marcel Hirsiger von der Fachhochschule Nordwestschweiz erklärt im Interview, welchen Handlungsspielraum es noch gibt.

Selenskyj steht vor der Wahl, entweder dem Plan zuzustimmen oder den Wegfall der US-Unterstützung zu riskieren. Welche konkreten und unmittelbaren Folgen hätten die jeweiligen Entscheidungen?

Der Plan mit den bekannten 28 Punkten ist eine erzwungene Kapitulation der Ukraine, ein Diktatfrieden. Er garantiert Russland Zugang zu völkerrechtlich illegal eroberten Gebieten und schafft Voraussetzungen, dass Russland in kurzer Zeit nicht nur die restliche Ukraine, sondern sogar weitere Teile Europas angreifen kann. Das imperialistische Vorgehen Putins wird damit belohnt. Und das russische Regime wird noch gefährlicher.

Die Konsequenzen einer Ablehnung können derzeit nicht abgeschätzt werden. Trump hat deutlich kommuniziert, dass er keinen Spielraum sieht; gleichzeitig scheinen es jetzt aber zu Verhandlungen zwischen Europa, der Ukraine und den USA zu kommen.

Was ist das realistischste Szenario bis Donnerstag?

Das lässt sich derzeit kaum vorhersagen, weil die Informationslage sehr unklar und widersprüchlich ist. Von russischer Seite wurde betont, dass der Friedensplan nicht genüge, weil man weiterhin die ganze Ukraine als russisch betrachte. Von amerikanischer Seite wiederum wird Gesprächsbereitschaft signalisiert, gleichzeitig aber der Verhandlungsspielraum reduziert. Und mittendrin steckt die Ukraine mit den europäischen Partnern, die derart überrumpelt sind, dass sie sich erst abstimmen müssen.

Was passiert, wenn Selenskyj das Ultimatum ignoriert oder die Zustimmung verzögert? Könnten die USA tatsächlich so kurzfristig militärische und geheimdienstliche Unterstützung einfrieren?

Die Unterstützung kann tatsächlich sehr schnell eingefroren werden, zumindest für Waffen, die noch nicht in der Ukraine angekommen sind. Wir haben solche Szenarien bereits mehrfach erlebt in den letzten Monaten. Noch schneller geht es, geheimdienstliche Informationen zurückzuhalten, die wiederum für die Taktik auf dem Schlachtfeld und die Programmierung der Waffensysteme von großer Bedeutung sind. Und schließlich hängt die Ukraine auch zu einem hohen Maß vom Zugang zum Satellitensystem Starlink von Elon Musk ab, das wortwörtlich per Knopfdruck blockiert werden kann.

Wie verwundbar wäre die Ukraine auf dem Schlachtfeld, wenn Trump die Drohung in die Tat umsetzte?

Dies wäre tatsächlich ein großes Problem, insbesondere wenn es um bestimmte Waffensysteme wie die ATACMS geht. Andererseits ist derzeit gerade ein sehr kleinräumiger Krieg im Gange, bei dem in sehr schlechten Wetterbedingungen und vor allem mit Drohnen um einzelne Quadratkilometer gerungen wird. Hier wäre der Wegfall der amerikanischen Unterstützung wohl eher zu verkraften. Weitaus schwieriger dürfte es werden, weiterhin Ziele im russischen Hinterland zu treffen, die der Versorgung dienen, wie etwa Raffinerien oder Waffenproduktionen.

Kann Selenskyj es sich überhaupt leisten, diesen Plan oder Teile davon abzulehnen?

Das hängt ganz wesentlich von Europa ab. Eine Ablehnung ist nur dann möglich, wenn Europa unmissverständlich seine Unterstützung erhöht – nicht nur auf dem Papier und in Lippenbekenntnissen, wie in den vergangenen fast vier Jahren. Die europäischen Partner kommen nicht umhin, die Ukraine massiv aufzurüsten, um damit den Wegfall der USA zu kompensieren. Schwierig bleibt hierbei, dass die Ukraine dastehen würde, als hätte sie den Frieden verhindert. Trump hat mit seinem nicht abgestimmten Vorgehen alle Trümpfe in die Hand Putins gespielt.

Sehen Sie eine Chance, dass der Plan noch justiert oder nachverhandelt wird?

Es scheint, dass Europa nun doch auch Druck auf die USA und Trump aufbaut, um Nachverhandlungen zu ermöglichen. Davon zeugt das heutige Treffen in Genf. Wobei man ehrlich sagen muss: Fast jeder der 28 Punkte müsste korrigiert werden, wenn ein gerechter und nachhaltiger Frieden geschaffen werden soll. Das ist wohl kaum realistisch.

Der Druck auf Selenskyj scheint deutlich größer zu sein als jener auf Putin. Was sagt das über Trumps Verständnis der Lage und Prioritäten aus?

Trumps Verhalten ist irrational und zunehmend sprunghaft. Nach dem Alaska-Gipfel mit Putin tendierte er zur russischen Seite, kurze Zeit später traf er Vertreter Europas und stellte gar amerikanische Tomahawks in Aussicht, nur um die wenige Tage später zu dementieren. Er scheint derzeit nur noch beflügelt vom Gedanken, einen weiteren Krieg zu beenden – egal, zu welchem Preis. Seine Mission ist offenbar, als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen. Dass er dabei einen Diktator und sein imperialistisches Regime unterstützt, ist der Preis, den er gerne einzugehen bereit ist.

Könnte Selenskyj ein Zustimmen zu diesem Plan, inklusive der Abgabe von Staatsgebieten an Russland, politisch überhaupt überleben?

Selenskyj kann die Abtretung der Gebiete nicht unterschreiben, weil es hierfür eine Verfassungsänderung bräuchte, wohl sogar einen Volksentscheid. Daher ist im Plan auch nur die Rede einer de-facto-Abtretung, aber nicht de iure. Das ist eine Hintertür, die hier offengehalten wird. Selenskyj genießt derzeit weiterhin große Unterstützung im Krieg, weil er sich – allen Problemen zum Trotz – sichtbar für die Ukraine einsetzt. Und die Menschen in der Ukraine verstehen auch, dass er hier wohl gar keine Wahl hat.

Selenskyjs Reputation ist nach den Korruptionsskandalen eh schon angeschlagen. Erwarten Sie Spannungen zwischen der Bevölkerung und der politischen und militärischen Führung des Landes?

Das ist kaum anzunehmen. Die Bevölkerung wie auch die Opposition in der Ukraine haben Selenskyj zwar immer wieder kritisiert wegen der zahlreichen Korruptionsfälle. Gleichzeitig stehen aber viele sehr geschlossen hinter ihm, wenn es um die Verteidigung des Landes geht.

Putin auf der anderen Seite betrachtet das Papier lediglich als "Verhandlungsgrundlage"? Könnte Russland weitere Forderungen stellen und wenn ja, welche? Glauben Sie, dass die USA bereit wären zu noch mehr Zugeständnissen an Russland?

Russland und Putin selber haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie die gesamte Ukraine als russisch betrachten. Entsprechend fallen auch die Reaktionen eher zögerlich aus: Trotz aller Zugeständnisse sind die Maximalforderungen aus russischer Sicht in einzelnen Punkten noch nicht erfüllt. Das spielt aber realistisch betrachtet keine Rolle: Wenn die Region Donezk vollständig an Russland fällt, so ist die Tür weit offen für weitere Aggressionen in den folgenden Monaten und Jahren. Russland wird zwischenzeitlich die Bestände auffüllen, um dann den Rest des Landes zu überfallen. Das Verrückte am "Friedensplan" ist ja, dass Russland genau die Gebiete bekommen soll, die es militärisch noch nicht erobern konnte – weil sie hervorragend befestigt sind, um das ukrainische Kernland zu verteidigen.

Europa spielt einmal mehr kaum eine Rolle. Kann Europa überhaupt noch Einfluss nehmen auf diesen Prozess und wenn ja, wie?

Es scheint zumindest, dass es die Europäer waren, die nun Verhandlungen mit den USA erwirken konnten. Aber Europa wurde komplett überrascht. Und obwohl der Krieg nun schon fast vier Jahre dauert, hat man noch immer keine gemeinsame Linie gefunden – weder in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine noch mit einem eigenen Vorschlag für einen Friedensplan oder Maßnahmen, die Russland richtig schmerzen würden.

Welche Handlungsoptionen bleiben Europa konkret?

Europa kann in den Verhandlungen zwischen Russland und den USA nur Wünsche anbringen, diese aber kaum einfordern. Es bleibt also letztlich nur, dass man endlich aufwacht und den Kern des russischen Imperialismus als solchen erkennt und die Ukraine so massiv unterstützt, dass Russland einlenkt. Davon sind wir aber weit entfernt. Die derzeitige Appeasement-Politik des Westens weckt ungute Erinnerungen, die leider immer berechtigter scheinen.

Was bedeutet der Plan langfristig für die Entwicklung des Konflikts und die europäische Sicherheitsarchitektur?

Sollte der Plan in der aktuellen Form durchgesetzt werden, so liefert dies Russland vor allem die Möglichkeit, die eigenen Bestände aufzufüllen, um dann bald den Krieg auszuweiten. Die Sicherheitsgarantien der USA und Europas sind dabei schlicht ein Witz: Es gibt keinen Grund anzunehmen, warum künftig amerikanische oder europäische Truppen für Frieden sorgen sollten, wenn sie dies nicht schon heute tun wollen.

Vertreter der USA und der Ukraine treffen sich in der Schweiz, um über den 28-Punkte-Plan zu verhandeln. Zeigt das, dass es mehr Spielraum gibt für die Ukraine als "Friss oder stirb"?

Das ist anzuzweifeln. Der US-Plan beinhaltet zahlreiche Zugeständnisse an Russland. Werden diese aufgeweicht, so ist die Unterstützung Putins ganz bestimmt weg, da er sowieso noch mehr gefordert hat. Die USA werden also wohl entweder einen neuen Plan verhandeln, der dann vom Kriegstreiber Russland nicht akzeptiert wird. Oder sie bleiben beim jetzigen Plan, der weder für die Ukraine als Opfer in diesem Krieg noch für Europa akzeptabel ist.

Das alles kommt sehr kurzfristig: Ist die Schweiz für ein solches Treffen gerüstet?

Die Schweiz hat wiederholt gezeigt, dass sie solche Treffen organisieren kann, auch sehr kurzfristig. Es sei erinnert an den Gipfel zwischen Biden und Putin 2021 oder die Bürgenstock-Konferenz von 2024.

{title && {title} } 20 Minuten, {title && {title} } Akt. 23.11.2025, 10:30, 23.11.2025, 10:28
Weitere Storys
Jetzt E-Paper lesen