Wenn US-Präsident Donald Trump am Freitag den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus empfängt, steht eine Frage im Zentrum: Wird die Ukraine Zugang zu den weitreichenden Tomahawk-Marschflugkörpern erhalten?
Die ganze Ukraine hofft auf ein Ja – die Waffen könnten Angriffe tief ins russische Hinterland ermöglichen. Doch Trump zögert: Er behauptet, die USA bräuchten die Tomahawks selbst, und verweist auf mögliche NATO-Umwege. Unsicher ist ebenfalls, welchen Einfluss das Telefonat mit Putin das Treffen beeinflusst.
Doch welche Folgen hätte eine Tomahawk-Lieferung für die Ukraine, Russland und Europa? Darüber hat das Schweizer Nachrichtenportal "20 Minuten" mit dem Osteuropa-Experten Marcel Hirsiger gesprochen:
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Ukraine tatsächlich Tomahawks erhält?
Hirsiger: Nach dem Telefonat zwischen Trump und Putin ist das sehr unwahrscheinlich – zumindest nicht in der geforderten Reichweite und Menge. Wir haben dieses Muster schon öfter gesehen: Immer wieder hat Trump in den letzten Monaten angedeutet, dass er die Ukraine stärker unterstützen will. Im August war die Rede von scharfen Sanktionen, auch gegen Länder, welche weiterhin russisches Öl und Gas kaufen. Daraufhin kam es zum Treffen mit Putin in Alaska. Seither ist das Thema kaum mehr aufgetaucht. Ähnlich könnte es nun mit den Tomahawk-Lieferungen laufen.
Wären die Tomahawks für die Ukraine sofort einsatzbereit?
Diese wären bei einer Zusage relativ schnell einsatzfähig, anders als etwa Kampfflugzeuge, welche umfassendes Training voraussetzen. Eine Lieferung wäre militärisch sehr wichtig für die Ukraine, weil Ziele im russischen Hinterland angegriffen werden können. Dazu zählen fast 2.000 Objekte, unter anderem Luftwaffenstützpunkte und Drohnenfabriken.
Es wäre aber auch ein wichtiges Zeichen der Abschreckung: Die Tomahawks könnten Moskau erreichen. Es gibt zwar keinen Grund, warum die Ukraine die russische Hauptstadt angreifen sollte, aber bereits die Möglichkeit dazu sorgt für ein besseres Gleichgewicht.
Von russischer Seite wird seit Wochen mit einer Eskalation gedroht. Konkret werden Angriffe auf NATO-Länder genannt oder Vergeltungsschläge gegen westliche Städte. Dies folgt aber einem bekannten Muster der Propaganda: Bei allen bisherigen Plänen für zusätzliche Waffen aus westlichen Ländern haben sich die Kreml-Propagandisten in ihrer Hysterie fast überschlagen. Das Ziel ist denn auch vor allem, die Waffenlieferungen als zu riskant erscheinen zu lassen, damit sie gar nicht erst vorgenommen werden.
Trump will sich unbedingt als derjenige inszenieren, der Frieden schafft auf der Welt. In dieser Manie bemerkt er kaum mehr, dass er von Putin durch und durch manipuliert wird. Dieser spricht von ihm als einem Freund, nennt ihn in Pressekonferenzen beim Vornamen, teilt seine Empörung über den nicht erhaltenen Friedensnobelpreis. Er bedient damit vor allem Trumps Ego und macht diesen zum bereitwilligen Erfüllungsgehilfen.
Auf der anderen Seite haben wir Selenskyj, der Putin wieder öffentlich als feige und nicht mutiger als die Hamas darstellt. Eine kluge Taktik angesichts der Tatsache, dass er auf Trump angewiesen ist?
Selenskyj ist inzwischen komplett ohne Optionen. Die europäischen Partner stellen sich seit Monaten demonstrativ hinter ihn, liefern dann aber nicht. So hat etwa Merz im Wahlkampf noch von unverzüglichen Taurus-Lieferungen gesprochen, das Thema dann aber nicht mehr aufgegriffen.
Ukrainische Gebietsabtretungen für einen Waffenstillstand sind mit der Verfassung nicht vereinbar und daher keine Möglichkeit, um den Krieg zumindest temporär zu stoppen.
Von russischer Seite fehlen sogar minimalste Anzeichen dafür, dass man an einem echten Frieden interessiert sein könnte. Und Trump hat mit seinem gestrigen Telefonat einmal mehr bewiesen, dass er den ukrainischen Präsidenten nicht als gleichwertigen Gesprächspartner betrachtet.