Bereits Ende September hatte Oberst Markus Reisner die russische Sommeroffensive als "gescheitert" bezeichnet. Dieses Fazit könnte der dekorierte Kriegsanalyst möglicherweise etwas zu vorzeitig gezogen haben.
Denn wie er in einer aktuellen Lagebesprechung auf "n-tv" zugeben muss, haben sich die Kampfhandlungen im Donbass bis jetzt nicht nennenswert abgeschwächt. Im Gegenteil waren in den vergangenen Tagen auf russischer Seite teils massive mechanisierte Vorstöße zu beobachten. Videos ukrainischer Drohnen zeigen den Abwehrkampf der Verteidiger.
Es ist vielleicht die letzte Chance für den Einsatz dieses schweren Geräts. Es ist das anhaltend gute Wetter in der Ostukraine, das die Kulminationsphase der russischen Sommeroffensive weiter verlängert. Setzt mit dem Herbstregen dann die berüchtigte Schlammperiode – ukrainisch "Besdorischschja", russisch "Rasputiza" – ein, geht nichts mehr. Abseits befestigter Straßen wird das Gelände zur Gatschhölle.
Die weitergehenden Kampfhandlungen sind für Reisner jedoch kein Grund, sein Fazit zu ändern. "Bis das Schlammwetter einsetzt, versucht sich Russland weiter an einem zumindest symbolischen Erfolg", so der Offizier. In Summe bezeichnet er die Offensive weiterhin als "gescheitert", weil der im Kreml erhoffte große Frontdurchbruch nicht gelungen ist.
Dennoch bleibt die Situation für die Ukrainer prekär: "Auch wenn Russland der operative Durchbruch auch in diesem Sommer nicht gelungen ist, hat sich Russland an einigen Stellen der Front in eine signifikant bessere Position gebracht", mahnt Reisner.
Sechs Städte bleiben durch die Soldaten des Kreml-Kriegstreibers massiv bedroht. Das sind von Nord nach Süd: Kupjansk, Lyman, Siwersk, Kostjantynivka, Pokrowsk und Nowopawliwka.
Für einige der ukrainischen Festungen sieht der Bundesheer-Offizier schwarz: "So wie es aussieht, wird Pokrowsk über kurz oder lang fallen. Siwersk ist in einer sehr exponierten Position und wird möglicherweise auch fallen. Das Gleiche gilt für Kupjansk."
Russland habe es geschafft, sich in eine Position zu bringen, von der aus es über den Winter die nächste Frühjahrsoffensive planen kann.
Dass Wladimir Putin kein Interesse an einem Ende seiner brutalen Invasion der Ukraine hat, sieht Reisner durch ein jüngstes Treffen des Präsidenten mit seinen Top-Generälen. Alle Kommandeure der einzelnen kämpfenden Truppen waren zugegen, als Generalstabschef Gerassimow vor laufender Kamera klar die nächsten militärischen Ziele benannte.
Für Reisner ist klar: "Die russische Seite zeigt keinerlei Einlenken, sondern verfolgt stoisch ihre Ziele."