Dramatischer Appell

"Viele verstehen nicht" – Reisner warnt alle Österreicher

Oberst Markus Reisner sieht eine düstere Zukunft auf Europa und auch Österreich zukommen. Er appelliert eindringlich, Vorbereitungen zu treffen.
Roman Palman
02.05.2025, 20:40

US-Präsident Donald Trump hat am Mittwoch seinen Rohstoffdeal mit der Ukraine bekommen – und schon am Freitag scheint er das angegriffene Land fallen zu lassen. Die USA wollen nicht mehr Mittelsmann zwischen Kyjiw und Moskau sein: "Das ist jetzt eine Angelegenheit zwischen den beiden Parteien", heißt es aus dem amerikanischen Außenministerium – "Heute" berichtete.

Die Verwerfungen in der bisherigen Weltordnung haben auch den Rest Europas scheinbar endlich wachgerüttelt. Überall wird massiv aufgerüstet, auch das österreichische Bundesheer will die, dank jahrzehntelangem Kaputtsparens, klaffenden Lücken in seiner Verteidigungsfähigkeit schnell schließen.

Angriffe auf Österreich?

Alleine aufgrund unserer Lage im Herzen Europas und als Knotenpunkt von Strom- und Gasnetzen könne unsere Alpenrepublik zum Ziel werden: "Wir müssen mit einem Angriff auf unser Staatsgebiet rechnen", warnte kürzlich der Kommandant der Landstreitkräfte des Bundesheers, Generalleutnant Martin Dorfer.

Auch Militärhistoriker und Kriegsanalyst Oberst Markus Reisner sieht in einem Interview mit "News" Anfang der Woche Österreich in dieser aktuellen geopolitischen Lage bedroht.

Oberst Markus Reisner leitet seit 1. März 2024 das Institut für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt.
Bundesheer/Kristian Bissuti

"Neuaufteilung der Welt"

"Viele verstehen nicht, dass die Ukraine nur ein Phänomen einer viel größeren Auseinandersetzung zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden ist", sagt der Bundesheer-Offizier: "Es geht bereits um eine Neuaufteilung der Welt". China sieht er dabei ganz klar als eine der treibenden Kräfte des Ukraine-Kriegs. Es würde Russland kriegswichtige Produktionsmaschinen liefern und habe kein Interesse daran, dass sich die USA schnell von diesem Konflikt abwenden, "weil es dann selbst in Trumps Fokus gerät".

Für Europa heißt das, dass es die Sicherheitspolitik in eigene Hände nehmen muss. Die Staaten auf dem Alten Kontinent müssten sich in ihre Verteidigungsstrategie deutlich von den USA emanzipieren – gleichzeitig brauche es aber auch ein "ehrliches Verhältnis" zu Russland. "Was aber nicht passieren darf, ist, dass Russland – und damit auch der globale Süden – das Gefühl hat, mit dem Angriff auf die Ukraine durchzukommen." Denn dann habe der Westen Machtlosigkeit demonstriert und "dann kann jeder machen, was er will".

"Die verrecken dort"

Einmal mehr kritisiert der erfahrene Analyst die verhaltene Unterstützung der Ukraine durch die europäischen Partner: "Wenn man es historisch betrachtet, sieht man, dass erst die Betroffenheit Menschen dazu bewegt, Dinge wirklich ernst zu nehmen und nachhaltig zu verändern."

In der Ukraine würden "Menschen in Stücke gerissen, die verrecken dort. Das ist schlimmer, als wir uns das jemals vorstellen konnten". Dennoch sage Europa nur: "Wir haben ein ungutes Gefühl, man muss etwas tun", ohne sich wirklich zu wirksamen Handlungen durchzuringen. Und nach wie vor gebe es riesige Lücken in den Fähigkeiten der eigenen Streitkräfte als auch der NATO: "Warum soll uns Russland da ernst nehmen?"

Es gelte jetzt, die zahnlosen europäischen Armeen wieder wehrbereit zu machen, bevor der Ernstfall eintritt: "Es geht uns zu gut. Die Menschen sind nur bereit, Veränderung umzusetzen, wenn sie betroffen sind. Wir sollten es aber nicht so weit kommen lassen, dass es Opfer geben muss, damit sich etwas verändert, sondern vorausschauend Handlungen setzen."

"Schwäche unserer Gesellschaft"

Genau das weiß man auch im Kreml. Russland versuche mit allen Mitteln, die Glaubwürdigkeit westliche Demokratien zu untergraben und die Gesellschaft durch Neid und Missgunst zu spalten: "Eine Einigung Europas wäre für Russland das Schlimmste".

Reisner weiter: "Das große Problem ist, dass Staaten heute die Deutungshoheit verlieren. Und damit auch die Vertreter der öffentlichen Institutionen. Man sagt: 'Ich glaube dem Kanzler nicht mehr, der will uns nur verwirren. Aber ich habe auf YouTube eine Erklärung gefunden, die war viel logischer für mich.' Und genau dort setzt Russland an. Es versucht, diese Schwäche unserer Gesellschaft auszunützen."

Derzeit könne sich die russische Propaganda in unseren Gesellschaften "austoben", weil wir im sogenannten Informationsraum kaum Widerstand leisten würden, mahnt er: "Das Ergebnis sehen Sie dann bei demokratischen Wahlen, wo plötzlich prorussische Parteien gewinnen."

„Wir befinden uns am Anfang, beim Übergang von der Phase der Demoralisierung zur Destabilisierung.“
Markus ReisnerOberst des österreichischen Bundesheeres

Auch Österreich sei in Gefahr: "Wir befinden uns in diesem hybriden Krieg. Viele der verwendeten Verfahren stammen aus der Zeit der Sowjetunion und sind bis heute gültig". Die klassischen Eskalationsstufen vom hybriden Krieg zu einer militärisch-offensiven Handlung habe man in der Ukraine klar beobachten können. Der Rest Europas bekomme genau das ebenfalls zu spüren: "Wir befinden uns am Anfang, beim Übergang von der Phase der Demoralisierung zur Destabilisierung."

Reisner verweist dabei auf die gezielte Lenkung von Migrantenströme, die teilweise sogar direkt nach Belarus geflogen werden, um sie dort zur polnischen Grenze zu schicken. Auch gewisse Attentate riechen für den Offizier nach russischer Sabotage, das sei aber eine "unbewiesene Unterstellung" seinerseits.

"Das Problem ist dieses typisch österreichische Denken"

Doch wie kann Österreich eine solche Destabilisierung verhindern? "Wir haben in Österreich eine sehr prorussische Bevölkerung, die wenig bereit ist, anderen Ländern zuzugestehen, dass sie auch ihre Meinung haben" – was angesichts der Besatzungshistorie gerade im Osten überraschend sei. Daneben gebe es die Sicherheitsstrategie, die eindeutig vorgebe, dass Österreich nicht einfach wegsehen könne, wenn das Völkerrecht gebrochen wird.

"Vor allem als neutrales Land, wo wir eigentlich wissen müssten, dass wir auch nur dann neutral sein können, wenn alle anderen das auch so anerkennen", mahnt Reisner vor dem "Schutzschild" Neutralität, das womöglich keines ist: "Das Problem ist dieses typisch österreichische Denken: Wenn irgendwo was passiert, helfen wir nicht, aber wenn uns was passiert, wird schon wer kommen."

Auch wenn sich die Österreicher noch sicher fühlen, retten würde uns wohl keiner kommen. Reisner schockt mit knallharten Worten: "Aus jetziger Sicht? Nein. Warum auch? Auf welcher Grundlage?"

Österreich "schwächstes Glied der Kette"

Die Neutralität grundsätzlich zu diskutieren, sei schwierig, weil die Betroffenheit der Menschen dafür zu gering sei, so Reisner weiter. "Das wird sich erst ändern, wenn diese Betroffenheit zunimmt. Dann kann aber aus meiner Sicht alles sehr, sehr schnell gehen."

"Stellen Sie sich vor, es kommt wirklich zu einem Angriff auf den europäischen Infrastrukturknotenpunkt Österreich, weil Russland im Ernstfall wahrscheinlich nicht das hoch gesicherte Brüssel, sondern das schwächste Glied der Kette angreift, womit wir beispielsweise bei uns wären." Damit könnte nämlich ein Blackout weit über unsere Grenzen ausgelöst werden – "Oder wenn es zu einem Angriff mit Marschflugkörpern kommt, die fliegen nicht um Österreich herum. Dann werden die Österreicher die Ersten sein, die sagen: 'Um Gottes willen, wir armen Leute, man muss uns helfen.' Und wenn es dann notwendig sein wird, der NATO beizutreten, werden wir es auch tun."

„Österreich ist so schutzlos, wie die Bevölkerung bereit ist, es schutzlos sein zu lassen.“
Markus ReisnerOberst des österreichischen Bundesheeres

Aber: "Niemand kann genau sagen, was passieren wird. Es gibt keine Antwort darauf. Was wir erleben, ist Geschichte." Deshalb müsse man sich für das Schlimmste rüsten.

Er sei als Offizier genau darauf trainiert, in Varianten zu denken. Was ist die Gefährlichste und was ist die Wahrscheinlichste: "Darauf muss ich mich vorbereiten, und erst dann kann ich beruhigt schlafen gehen". Reisner beschreibt es mit aufziehenden Gewitterwolken: "Einfach nur zu sagen: 'Na ja, es wird schon nicht regnen', wäre falsch. Es ist an der Zeit, die schwarzen Wolken am Himmel zu akzeptieren. Das ist der erste Schritt zur Resilienz."

Sein Appell an die Bürger: "Österreich ist so schutzlos, wie die Bevölkerung bereit ist, es schutzlos sein zu lassen."

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