Die ukrainischen Festungsstädte Nowopawliwka, Pokrowsk, Kostjantyniwka, Siwersk und Kupjansk sind unter enormer Druck, die Lage verschärft sich täglich. "Alle fünf Hotspots sind entweder von einer Einkesselung bedroht oder befinden sich bereits in einem Kessel. Diese ziehen sich immer mehr zusammen, kleine russische Sturmtrupps sind bereits in Pokrowsk präsent", schildert Oberst Markus Reisner die prekäre Lage am Montag in "n-tv"
Der österreichische Kriegsbeobachter sieht das Momentum derzeit eindeutig bei den Russen. Sie hätten im Juli 713 Quadratkilometer Boden erobern können, deutlich mehr als in den Vormonaten: "Das ist ein sehr starker Zuwachs".
Die Ukrainer bereiten sich bereits auf den Fall dieser Bastionen vor. Unklar ist noch, ob der Oberkommandeur der Streitkräfte, General Oleksandr Syrskyj, sie auch aufgeben wird wollen: "Syrskyjs unnachgiebige Linie wird [...] intensiv diskutiert", so Reisner. Bisher hätten sich die Verteidiger, mit Ausnahme von Mariupol, aber vorausschauend aus Kesseln zurückgezogen. "Dennoch sind solche Kämpfe natürlich zermürbend."
Die Arbeiten an einer vierten massiven Verteidigungslinie dahinter laufen derweil auf Hochtouren. Es ist aber keine Linie im engeren Sinn, sondern ein Gebietsgürtel, der verschiedene Verteidigungszonen umfasst, erklärt Reisner. In günstigen Geländeabschnitten werden Stützpunkte gebaut, Panzergräben ausgehoben, Minenfelder gelegt und Stacheldraht ausgerollt.
Die großen Hoffnungen liegen aber auf dem urbanem Raum: "Wenn sich also die Front weiter Richtung Westen verschiebt, weil etwa Siwersk fällt, dann nimmt man an, dass die nächste starke Verteidigungslinie die Städte Slowjansk und Kramatorsk miteinschließt."
Das grundlegende Problem der Zurückweich-Taktik: "Es können nicht dieselben Kräfte, die vorn im Feuer stehen, nach ihrem Rückzug in der Tiefe die Verteidigungsstellungen beziehen". Im schlimmsten Fall könnten sie im Feld von den nacheilenden Russen überholt werden. "Das muss man unbedingt vermeiden."
Allerdings ist laut dem Austro-Offizier für Außenstehende "momentan noch nicht erkennbar", welche Kräfte die Verteidigungslinie hinter den derzeitigen Festungsstädten besetzen sollen. "Die Ukraine hat vorsorglich begonnen, in der Tiefe Stellungen anzulegen. Mehr ist noch nicht zu sehen."
Doch selbst die neuen Verteidigungslinien dürften die Russen nicht vollständig aufhalten können. Sollen sie auch nicht, führt Reisner aus. Die schockierende Wahrheit: "Ziel ist, dass Offensivpotential der Russen dort zu binden, um Zeit zu gewinnen. Es geht nicht mehr ums Verteidigen, sondern darum, den Vormarsch der Invasoren zu verzögern."