Tobias Bauer nennt es ein Wunder: Heute geht der Schweizer wieder ins Kino, besucht die Oper, spielt Theater – und nimmt das Grün der Bäume und Wiesen endlich wieder intensiv wahr. Möglich macht das – grob gesagt – ein Zahn in seinem Auge.
So bizarr es klingt: Bei einer sogenannten Osteo-Odonto-Keratoprothese (OOKP) wird einer blinden Person ein eigener Zahn mit Wurzel und Kieferknochen entnommen, mit einem winzigen Plexiglaszylinder versehen und in die Hornhaut implantiert.
Wie kommt man auf eine solche Technik? Bereits 1963 entwickelte der italienische Augenarzt Benedetto Strampelli das Verfahren, erklärt Prof. Dr. David Goldblum gegenüber "20 Minuten". Der Plexiglaszylinder lässt wieder Licht durch eine eingetrübte Hornhaut gelangen.
"Strampelli nutzte Erkenntnisse aus der Zahnmedizin", sagt der 55-jährige Goldblum. "Man wusste bereits, dass sich Fremdmaterial dauerhaft in einem Zahn verankern lässt. Also wagte er den Versuch – und er behielt recht." Heute ist Goldblum der einzige Arzt in der Schweiz, der OOKP-Eingriffe an den Pallas-Kliniken durchführt.
"Diese Operation ist für Patienten gedacht, bei denen eine Hornhauttransplantation keine Option ist", erklärt Goldblum. "Meist handelt es sich um Menschen, die schwere Krankheiten oder schwere Verätzungen erlitten haben. Auch bei seltenen Autoimmunkrankheiten oder nach mehrfachen Abstoßungen ist diese künstliche Hornhaut – eine Kombination aus Zahn, Knochen und Plexiglas – die einzige Option."
Einer dieser Patienten ist Tobias Bauer. Mit 55 Jahren erblindete er infolge einer seltenen Medikamentennebenwirkung. "Plötzlich brannte meine Haut, sie löste sich großflächig ab", erzählt er. Während des sechsmonatigen Spitalaufenthalts trübte sich auch seine Hornhaut. "Es war ein schrecklicher Prozess – Tag für Tag wurde es dunkler. Als ich entlassen wurde, war ich völlig blind."
Der neue Alltag stellte ihn vor große Hürden. Tobias lernte Blindenschrift. "Natürlich findet man Wege, etwa durch Hören oder Tasten. Aber es ist unglaublich mühsam, jeden Handgriff neu zu lernen."
2012 begegnete Tobias Prof. Goldblum. "Als er mir von diesem Verfahren erzählte, wusste ich sofort: Das muss ich wagen." Zunächst wurde nur ein Auge operiert – eine kluge Entscheidung. Denn es kam im letzten Oktober zu einer Entzündung, und Tobias verlor erneut sein Augenlicht.
Vor Kurzem wagte er die zweite Operation – diesmal mit durchschlagendem Erfolg. Heute, mit 70 Jahren, sieht Tobias so gut wie nach dem ersten Eingriff. "Es war ein unbeschreiblicher Moment, als ich meinen zweijährigen Enkel wieder sah und bemerkte, wie sehr er gewachsen war."
Die Rückkehr ins Leben mit Sehkraft hat Tobias gut gemeistert. "Die meisten Patienten kommen damit erstaunlich gut zurecht", sagt Goldblum. Nur in Ausnahmefällen sei psychologische Unterstützung nötig: "Ein Patient, der nach 40 Jahren wieder sehen konnte, musste begleitet werden – seine Tochter war inzwischen erwachsen, die Welt hatte sich stark verändert."
Für Tobias überwiegt die Freude. "Ich habe unmittelbar nach der Öffnung des Auges ein Apéro organisiert, um die Menschen, die mir während meiner Blindheit geholfen haben, wieder mit eigenen Augen zu sehen. Einige hatte ich noch nie gesehen. Das war ein überwältigender Moment."