Am Dienstag trafen sich in Zürich einige der wichtigsten Köpfe der Schweizer KI-Szene zum AI-Gala-Dinner der Mindfire Stiftung. Zweck des Abends: die Verleihung von Preisen für herausragende Leistungen im Bereich "künstliche Intelligenz" sowie der gesellige wie fachliche Austausch.
Nimmt man die Statements, die im Verlauf des Abends präsentiert und teils intensiv diskutiert wurden, lässt sich der Stand der Debatte auf folgende zehn Thesen zusammenfassen (die Wiedergabe der Thesen sagt nichts über das Ausmaß der Einigkeit im Saal aus, und die Thesen sind, entsprechend den Chatham-House-Regeln, nicht persönlich zugeordnet):
Was wir "künstliche Intelligenz" nennen, ist primär das Ergebnis von "wunderbarer Mathematik und Unmengen von Daten" und sollte nicht mit menschlicher Intelligenz verwechselt werden. Wenn wir KI als Freund oder Begleiter betrachten, ist das "völlig sinnfrei", da sie einfach nur das tut, was ihr befohlen wird, wie bei einem Taschenrechner oder Bagger.
Die derzeitige Strategie, immer mehr Geld in das ständige Hochskalieren (Scaling) von KI-Modellen zu stecken, erreicht bald ihre Grenzen. Es wird immer schwieriger, mit exponentiell mehr Aufwand nur kleine Fortschritte zu erzielen. Experten glauben, dass die Dominanz der heutigen KI-Giganten in den nächsten zwei bis drei Jahren stark zurückgehen könnte, weil diese aufgrund der begrenzten Lebensdauer der Mikrochips und deren hohen Kosten zwangsläufig in eine Finanzierungskrise schlittern.
KI wird nicht nur entwickelt, um uns die Arbeit zu erleichtern, sondern um "Menschen zu ersetzen in Wertschöpfungsketten", um Kosten zu sparen. Diese Welle betrifft alle Berufsfelder und nicht nur einfache Tätigkeiten. Die Entwicklung könnte drastischer und beschleunigter ausfallen, als uns dies lieb sein könnte.
Aufgrund dieser systemischen Ersetzung von Arbeit wird geschätzt, dass 50 bis 70 Prozent der Kinder, die heute in die Schule gehen, später keine bezahlte berufliche Tätigkeit mehr finden werden.
Als Antwort auf den massiven Wegfall bezahlter Jobs ist eine "systemische Veränderung" notwendig. Ein bedingtes Grundeinkommen könnte ein menschenwürdiges Leben sichern. Die Gegenleistung wäre eine "Society Time" (Gesellschaftszeit), in der Bürger gesamtgesellschaftliche Aufgaben (z. B. in der Pflege oder Flüchtlingshilfe) übernehmen.
Trotz der Risiken wird KI als das "zweite Feuer der Menschheit" und ein "Geschenk" bezeichnet. Sie senkt die Hürden für Unternehmer und Kreative erheblich. Menschen ohne Gesangs- oder Instrumentaltalent können zum Beispiel dank KI-Tools ihre kreativen Ideen verwirklichen.
Schweizer Modelle wie Apertus wurden bewusst so offen entwickelt, dass jeder Ingenieur lernen kann, wie man sie baut, und jedes einzelne Daten-Token "zurückverfolgt werden kann". Dies soll kritisches Wissen außerhalb des Silicon Valley verfügbar machen und das europäische Ökosystem fördern.
Die KI und die Techgiganten stellen eine existenzielle Gefahr für die Schweizer Medienlandschaft dar, da sie Werbegelder entziehen und Inhalte zusammenfassen. Da der Wohlstand der Schweiz auf der direkten Demokratie und einer "informierten Bevölkerung" beruht, ist das Überleben vielfältiger, kritischer Medien entscheidend für die Schweiz.
Es fehlt ein weltweiter Konsens über die ethischen Chancen und Risiken der KI, wobei die Risiken "massive Menschenrechtsverletzungen" beinhalten. Es wurde vorgeschlagen, einen "Zürich Accord" oder eine "Zurich Convention" zu schaffen, ähnlich den Genfer Konventionen für Kriegsregeln, um zu definieren, welche Aspekte der Menschlichkeit geschützt werden müssen.
Global AI Award 2025: Prof. Dr. Björn Ommer
Gewinner des Mindfire Global AI Award 2025 für bahnbrechende neue Erkenntnisse im Bereich der KI ist Prof. Dr. Björn Ommer, Leiter der Computer Vision & Learning Group, Institute of Computer Science, Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland. In seiner Laudatio erklärte Pascal Kaufmann, Präsident der Jury des Global AI Award und Gründer der Mindfire Foundation: "Die Gruppe um den deutschen Informatikprofessor Björn Ommer hat mit einer wissenschaftlichen Publikation 'Latent Diffusion Models' aus dem Jahr 2022 den entscheidenden Trick geliefert, damit heutige Bild-KIs auf normalen Grafikkarten laufen können: Statt jedes einzelne Pixel zu berechnen, arbeitet das Modell in einem stark optimierten Bildraum und spart dadurch enorm viel Rechenleistung bei fast gleichbleibender Qualität."
"Stable Diffusion", das heute millionenfach genutzte Bildsystem, setzt diese Latent-Diffusion-Idee direkt um und wurde von Ommers Team mitentwickelt, wodurch aus einem Forschungsansatz ein frei verfügbarer Bildgenerator für Kreative, Medien und die breite Öffentlichkeit wurde. "Björn Ommers Arbeit gilt als bahnbrechend und zeigt die Stärke europäischer Spitzenforschung im Bereich der KI", sagt Prof. Dr. Marcel Blattner, Mitglied der Jury des Global AI Award und Leiter des KI-Labs der Universität Luzern.
Special Recognition AI Award 2025: Team Apertus
Einen Anerkennungspreis erhielt das Team um das Schweizer Open Source LLM Apertus – vertreten durch: Prof. Dr. Martin Jaggi, EPFL, Prof. Dr. Antoine Bosselut, EPFL, und Imanol Schlag, Research Scientist, ETH Zürich. Kaufmann: "Das Team hinter Apertus hat etwas geschafft, woran viele Techkonzerne scheitern: Sie haben ein grosses KI-Sprachmodell gebaut, das komplett offengelegt ist – inklusive Trainingsdaten, Quellcode und Zwischenschritten – und damit weltweit Massstäbe für Transparenz gesetzt. Gleichzeitig ist Apertus bewusst mehrsprachig und schliesst Sprachen wie Schweizerdeutsch und Rätoromanisch ein, die in anderen Modellen praktisch nicht vorkommen, was es zu einem Vorreiter für Vielfalt und digitale Souveränität macht." Durch die konsequente Beachtung von Datenschutz, Urheberrecht und EU‑Regeln zeige Apertus, dass moderne KI auch rechtlich und ethisch vorbildlich sein kann. "Das Kernteam hinter Apertus setzt ein starkes und mutiges Signal aus der Schweiz, dass Technologie der Gesellschaft und der Öffentlichkeit dienlich sein muss. Über 100 WissenschafterInnen haben geschafft, was Milliardenkonzerne bis heute verweigerten, zu tun: transparente und nachvollziehbare KI zu bauen. Damit setzt die Schweiz einen neuen Standard", so Kaufmann.
Die Mindfire Stiftung
Die Mindfire Stiftung, welche hinter dem AI Award steht, hat sich seit vielen Jahren dem Scouting von Top-KI-Talenten weltweit verschrieben und arbeitet intensiv daran, die Schweiz im Bereich der KI an der Spitze zu positionieren. Der Zweck der Mindfire Stiftung ist es, "KI zum Wohle des Menschen zu bauen".
Die Technologie ist nicht das Ende, sondern zwingt uns, uns neu mit der Frage zu beschäftigen: "Wer sind wir eigentlich als Menschen, was macht uns aus?" Die Experten fordern, positive Visionen zu entwickeln, um die "Krise der Hoffnungslosigkeit" zu überwinden und dafür zu kämpfen, dass wir trotz der Maschinen Menschen bleiben und sie als Partner nutzen.