Anfang des Jahres hätte niemand mit einem Bundeskanzler Christian Stocker gerechnet – nicht einmal sein eigener Vater. "Eher gewinnt der SC Wiener Neustadt die Champions League" soll Stocker senior, einst selbst ÖVP-Abgeordneter, gemeint haben.
Mittlerweile wirkt der 65-Jährige im neuen Job angekommen und hat seine Rolle gefunden. In der Dreierkoalition der ÖVP mit SPÖ und Neos ist er Anwalt und Mediator der Regierung in Personalunion. Den "Buddha von Wien" nannte ihn der deutsche Spiegel.
Doch Stocker, der sich nach dem Rücktritt von Karl Nehammer schon als Hinterbänkler im Parlament und Wahlkreisabgeordneter der ÖVP Niederösterreich gesehen hat, bewegt sich auch auf internationalem Parkett trittsicher.
Von einer Konferenz mit rund 50 europäischen Staats- und Regierungschefs in Tirana ging es über Vorarlberg am Wochenende nach Rom. Dort lernte der Kanzler den neuen Papst Leo XIV. kennen (Stocker lud ihn gleich einmal nach Österreich ein) und nützte die Amtseinführungsmesse des Pontifex auch für Gespräche mit internationalen Partnern. So hat er etwa beste Kontakte zu Deutschlands Neo-Kanzler Friedrich Merz, mit dem er am Rande der Feierlichkeiten auf Augenhöhe parlierte.
Während Koalitionspartner Neos durch Sonderbüros, Abwesenheit im Parlament und Politiker-Privilegien die Schlagzeilen dominiert, fliegt Stocker mit Billig-Airlines. "Fleiß, Bescheidenheit, Resultate" hat er intern auch als Marschroute vorgegeben. Bei den Österreichern dürfte seine Amtsführung ankommen – im aktuellen Politbarometer von "Heute" liegt Stocker vor Herbert Kickl auf Platz zwei. Strategen haben für seine Amtszeit drei Phasen definiert.
Die erste davon ist mit der Budgeterstellung abgeschlossen. Nun kommt die "Austro-Ampel" in die Reform-Phase. "Der Bundeskanzler, der nichts mehr werden will und wirtschaftlich abgesichert ist, ist mehr als bereit, auch heiße Eisen anzugreifen", sagt ein Insider zu "Heute".
Konkret will der Kanzler in den nächsten Wochen "strukturelle Reformen angehen und Veränderungen in diesem Land möglich machen", so ein ÖVP-Stratege. Der Startschuss dazu soll am 5. und 6. Juni bei der Landeshauptleutekonferenz erfolgen, an der der Regierungschef sogar persönlich teilnehmen könnte. Es ist gleichzeitig der Abschied von Urgestein Wilfried Haslauer von der Polit-Bühne. Den Vorsitz übernimmt dann mit Mario Kunasek erstmals seit vielen Jahren ein Freiheitlicher.
„Wir müssen Österreich wieder zu einem Land der Fleißigen machen, in dem Leistung belohnt wird.“Regierungsstrategeüber Reformen
Unter Schirmherrschaft des blauen Granden muss dann der Stabilitätspakt mit den Bundesländern auf Schiene gebracht werden. Auch die Landeskaiser müssen künftig einen Sparkurs fahren – dazu verpflichten sie übrigens auch neue EU-Fiskalregeln, weswegen der Stabilitätspakt von 2012 bis zum Jahresende angepasst werden muss.
Die Vorbereitungen dafür beginnen schon kommende Woche im Sitzungssaal "Pferdeschwemme" des Finanzministeriums, dem ehemaligen Winterpalais des Prinzen Eugen. Ziel: "Eine nachhaltige und gesunde Budgetpolitik sicherzustellen und exzessive Defizite zu vermeiden", wie es in einem Schreiben heißt.
Vorerst bleibt es – kurz vor dem Ende der symbolisch wichtigen ersten 100 Regierungstage – bei den Mühen der Ebene. Im Ministerrat sind diese Woche die Pinken mit einem Bildungsthema dran. "Uns ist aber bewusst, dass wir substanziell mehr liefern und den Wachstumsmotor ankurbeln müssen, um den Wohlstand im Land nachhaltig abzusichern", heißt es gegenüber "Heute" aus Regierungskreisen.
Eine zentrale Rolle soll hier Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorffer – schwarzer Shootingstar der Regierung – einnehmen. Der Oberösterreicher propagiert das Prinzip "Leistung statt Überförderung" für die ÖVP: "Schließlich müssen wir Österreich, um wieder in die Spur zu kommen, zu einem Land der Fleißigen machen, in dem Leistung belohnt wird."
Hierfür brauche es ein Konjunkturpaket und Entbürokratisierung, um die Rahmenbedingungen für heimische Unternehmen zu verbessern und Anreize für Aufschwung zu schaffen. Ebendieser ist zumindest musikalisch gelungen – mit JJs Sieg beim Eurovision Song Contest. Für Stocker "eine sehr schöne Nacht". Er empfing den Künstler am Montag im Kanzleramt ...