Mit "Anno 117: Pax Romana" schickt Ubisoft seine traditionsreiche Aufbaureihe in eine neue Epoche – und in ein gewaltiges Experiment. Zum ersten Mal geht es nicht in ferne Zukunftsvisionen oder auf entlegene Inselreiche, sondern mitten hinein in die Antike. Das römische Imperium wird zur Bühne für das nächste große "Anno"-Abenteuer – und was sich bisher zeigt, könnte das die Reihe auf ein völlig neues Niveau heben. Schon die ersten Minuten in der Preview-Version vermittelt: "Anno 117" fühlt sich vertraut an – und doch vollkommen neu.
Wer die Seriengeschichte kennt, spürt sofort, dass die Macher diesmal mehr wollten als nur ein weiteres Kapitel. Ubisoft bringt nicht bloß einen historischen Anstrich, sondern ein durchdachtes Konzept, das die Spielmechanik, die Erzählstruktur und das visuelle Design in einem stimmigen Gesamtbild vereint. Während frühere Teile wie "Anno 1800" von der industriellen Revolution lebten, ist die römische Epoche von anderen Kräften geprägt: von Macht, Glauben, Expansion und kultureller Vielfalt.
Statt dampfender Fabriken bestimmen nun Aquädukte, Foren und Marsstatuen das Stadtbild. Die kreative Vision der Entwickler ist dabei klar: das Lebensgefühl des antiken Roms so greifbar zu machen, dass es sich anfühlt, als würde man in Echtzeit durch die Geschichte wandeln. Der Schauplatz ist das Jahr 117 n. Chr. – auf dem Höhepunkt der sogenannten "Pax Romana", jener Epoche des inneren Friedens unter Kaiser Trajan. Das römische Reich erstreckt sich vom heutigen Britannien bis zum Nahen Osten, von Nordafrika bis zur Donau.
Ubisoft lässt Spieler zwei Regionen erkunden: das reiche, politisch gesicherte Italien – und die rauen Provinzen des Nordens, die an der Grenze zum Barbaricum liegen. Diese Zweiteilung ist mehr als nur ein geografisches Detail. Sie steht für zwei Spielweisen, zwei Atmosphären, zwei politische Systeme. In Italien regiert Stabilität: Hier geht es um Kunst, Kultur und Wohlstand. In den Grenzregionen dagegen herrscht ständige Unruhe, und man muss taktisch mit den römischen Legionen planen, um Rebellionen oder Einfälle abzuwehren.
So entsteht ein Spannungsfeld, das "Anno 117" erstmals in der Seriengeschichte nicht nur über Wirtschaft, sondern auch über Macht und Diplomatie definiert. Während frühere "Anno"-Teile vor allem Wirtschaftssimulationen waren, bringt "Pax Romana" eine neue Dimension: Politik. Der Spieler ist nicht länger nur Baumeister, sondern zugleich Gouverneur, Senator und Machtmensch im Dienste Roms. Entscheidungen werden nicht mehr nur auf der Grundlage von Produktionsketten gefällt, sondern auf Basis gesellschaftlicher Werte.
So kann man etwa Gesetze erlassen, die die Rechte von Bürgern und Sklaven beeinflussen, Steuern festlegen oder religiöse Feste fördern. Auch Korruption spielt eine Rolle – wer sich bereichert, verliert Ansehen in Rom, kann aber kurzfristig die Wirtschaft ankurbeln. Ubisoft spricht hier von einem "sozialen Balanceakt", der das traditionelle Anno-Prinzip erweitert. Der eigentliche Kern bleibt natürlich der Städtebau – und hier liefert "Anno 117" eine Evolution. Der Aufbau folgt der bekannten Formel, doch alles wirkt organischer, glaubwürdiger, detailreicher.
Römische Architektur entfaltet sich in prachtvollen Villen, Mosaiken und monumentalen Thermen. Wasserleitungen müssen clever verlegt werden, um Hygiene und Wohlstand zu sichern. Gleichzeitig fordern die verschiedenen Bevölkerungsgruppen – von Bürgern über Legionäre bis zu Sklaven – ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Wer sich nur auf Profit konzentriert, riskiert Aufstände oder wirtschaftlichen Stillstand. Wer dagegen zu großzügig baut, verschuldet sich schnell. Dieses Spannungsverhältnis verleiht eine neue Dramatik.
Ein besonders interessantes neues System betrifft Religion und Loyalität. Der Glaube an Jupiter, Mars oder Venus ist mehr als bloße Kulisse – er beeinflusst Produktivität und Moral. Tempel erhöhen die Zufriedenheit, aber wenn man nur einen Gott bevorzugt, kann das Unmut in anderen Bevölkerungsgruppen auslösen. Ebenso spannend ist der Umgang mit Loyalität: Bürger müssen überzeugt, nicht unterdrückt werden. Wer zu hart regiert, riskiert Widerstand, was in Aufständen oder Sabotage enden kann. Hier wird "Anno 117" fast zur Polit-Simulation.
Auch der Handel erfährt eine Modernisierung. Statt linearer Handelsrouten gibt es nun ein flexibles System mit regionalen Märkten. Händlerkarawanen reagieren auf Angebot und Nachfrage, was die Wirtschaft dynamischer und realistischer wirken lässt. Ein großer Sprung im Vergleich zu früheren Teilen ist die Integration einer echten Kampagne. Ubisoft will keine lose aneinander gereihten Missionen, sondern eine durchgehende Erzählung, die auf realen historischen Persönlichkeiten basiert.
Die Handlung dreht sich um das Spannungsfeld zwischen römischer Macht und den kulturellen Einflüssen der Provinzen. Der Spieler erlebt – zumindest im Umfang der Vorschau-Spielszenen – Aufstieg, Intrigen und Verrat aus der Perspektive eines römischen Statthalters. Dabei verschmelzen Gameplay und Story so eng wie nie zuvor. Politische Entscheidungen in der Stadt haben direkte Auswirkungen auf Dialoge, Quests und Beziehungen. Das Ziel: eine Erzählung, die nicht linear wirkt, sondern sich anfühlt wie ein lebendiges Epos.
Ebenfalls bereits schon jetzt zeigt sich: "Anno 117: Pax Romana" ist ein visuelles Fest. Die hauseigene Snowdrop-Engine (bekannt aus "The Division" und "Avatar: Frontiers of Pandora") bringt die Antike in beeindruckender Detailtiefe auf den Bildschirm. Marmor, Sand, Wasser, Lichtreflexe – alles wirkt plastisch und lebendig. Besonders die Tageszeitenwechsel sind ein Highlight: Wenn über den Foren von Rom langsam die Sonne untergeht, spürt man, dass Ubisoft Mainz ein Händchen für Atmosphäre hat.
Auch die Musik passt dazu: sanfte Flötenmelodien, Choräle und Marschklänge erzeugen ein Klangbild, das zwischen Feierlichkeit und Melancholie schwankt. Die Künstliche Intelligenz solI zudem smarter und glaubwürdiger agieren als je zuvor. Bürger reagieren eigenständig auf Umweltveränderungen, Legionäre handeln taktisch, und Nachbarprovinzen passen ihre Politik an den eigenen Kurs an. Ubisoft spricht von einer "reaktiven Welt", in der jede Entscheidung Wellen schlägt. Ob dem so ist, muss ein ausführlicherer Test des Spiels zeigen.
Das betrifft auch Katastrophen: Überschwemmungen, Brände und Seuchen gehören zum Alltag des römischen Imperiums – und können ganze Provinzen lahmlegen, wenn man nicht vorbereitet ist. Die Entwickler wollen damit mehr Dynamik in die Spielwelt bringen, ohne den Spieler zu überfordern. Ein weiteres Highlight ist die geografische und kulturelle Vielfalt. Italien glänzt mit Marmor und Luxus, während die nördlichen Provinzen rau und wild wirken. Hier dominieren Holzbauten, Nebel und karge Landschaften.
Diese Kontraste sollen den Spieler motivieren, immer wieder neue Regionen zu erschließen. Auch das Umland bekommt mehr Gewicht: Landwirtschaft und Rohstoffabbau finden nun in eigenständigen Distrikten statt, die mit der Stadt über ein ausgeklügeltes Logistiksystem verbunden sind. Das erinnert an moderne Wirtschaftssimulationen – nur eben im antiken Gewand. "Anno 117" nutzt übrigens historische Quellen nicht als Zierde, sondern als Fundament. Die Entwickler haben laut eigenen Angaben mit Historikern zusammengearbeitet.
Alltagsleben, Stadtplanung und Architektur sollten möglichst authentisch dargestellt werden. Dennoch bleibt der spielerische Kern im Mittelpunkt – es ist keine Geschichtsstunde, sondern ein Erlebnis. Die Balance zwischen Fakten und Fantasie gelingt dabei erstaunlich gut. So sind viele Figuren inspiriert von realen Persönlichkeiten, doch Ubisoft erlaubt sich künstlerische Freiheiten, um das Gameplay spannender zu gestalten. Zum Teil kennt man das ja bereits aus dem einen oder anderen Spiel aus der "Assassin's Creed"-Reihe.
Wer "Anno 1800" gespielt hat, wird viele Parallelen entdecken – etwa das mehrstufige Bevölkerungssystem oder die Produktionskettenlogik. Doch die römische Welt verändert alles. Die neue Gesellschaftsstruktur mit Sklaven, Legionären und Patriziern zwingt zum Umdenken. Auch die Ressourcen sind anders: Statt Öl und Stahl dominieren Marmor, Olivenöl und Wein. Die Ästhetik ist wärmer, die Wirtschaft einfacher zu verstehen, aber schwieriger zu meistern. Ubisoft scheint bewusst eine Brücke zwischen Komplexität und Zugänglichkeit zu schlagen.
Der Mehrspielermodus soll von Beginn an verfügbar sein. Spieler können gemeinsam Provinzen verwalten, Bündnisse schließen oder gegeneinander um Einfluss kämpfen. Besonders spannend: Der römische Senat dient als diplomatische Arena, in der Abstimmungen und Intrigen den Verlauf einer Partie beeinflussen. Auch Mod-Support ist laut Ubisoft vorgesehen, was der Community langfristig enorme kreative Freiheit geben könnte. Vom eigenen Stadtlayout bis hin zu neuen Provinzen – die Möglichkeiten scheinen groß.
Alles deutet darauf hin, dass "Anno 117: Pax Romana" der nächste große Meilenstein für die Serie wird. Es vereint die typischen Stärken – Tiefgang, Detailverliebtheit und Aufbausucht – mit einer neuen erzählerischen Dimension. Der römische Schauplatz erweist sich als Glücksgriff: exotisch genug, um frisch zu wirken, aber vertraut genug, um nicht zu überfordern. Sollten Technik und Balance im fertigen Spiel halten, was die Vorschau verspricht, könnte "Pax Romana" zu einem der beeindruckendsten Aufbauspiele der letzten Jahre werden.