Eine Vorliebe für Söhne gegenüber Töchtern ist in vielen Kulturen weltweit traditionell verankert. Sobald die Wissenschaft erlaubte, vor der Geburt herauszufinden, ob es ein Mädchen oder ein Bub wird, häuften sich entsprechende Abtreibungen.
In westlichen Ländern entwickelt sich nun jedoch eine Vorliebe für Töchter, während auch in Ländern wie China oder Indien die Vorliebe für Söhne deutlich abnimmt, wie "The Economist" berichtet. Über die Gründe für den neuen Trend lassen sich bisher nur Mutmaßungen anstellen.
Laut dem "Economist" kommen auf natürlichem Wege im Durchschnitt 105 Buben auf 100 Mädchen auf die Welt. Diese Rate schwankt aber etwas, aus Gründen, die Wissenschaftler bisher nicht verstehen. So steigt zum Beispiel unmittelbar nach Kriegen die Geburtenrate von männlichen Babys. Mehr: So kannst du das Geschlecht deines Babys beeinflussen
Als die Wissenschaft noch nicht so ausgereift war und die Menschen sowieso eine große Familie mit mehreren Kindern hatten, wurde diese Geburtenrate nicht beeinflusst. Der Trend von kleineren Familien erweckte in werdenden Eltern das Verlangen, das Geschlecht ihrer wenigen Kinder zu kontrollieren. Mit günstigen Ultraschalluntersuchungen entstand die Möglichkeit zu wählen. So kam es, dass vor allem Mädchen abgetrieben wurden. Nach Berechnungen der Zeitung wurden seit 1980 etwa 50 Millionen Mädchen weniger geboren, als man natürlich erwarten würde. Im Jahr 2000 gab es etwa 1,7 Millionen mehr männliche Geburten. Nach Schätzungen wird diese Zahl in diesem Jahr jedoch auf etwa 200.000 sinken.
In Entwicklungsländern und in China werden Buben zwar noch immer bevorzugt, doch zeigen Zahlen eine Verminderung des Unterschieds. In China kamen in den 2000er-Jahren 117 männliche auf 100 weibliche Babys. 2023 waren es noch 111. In Indien sank die Rate von 109 auf 107.
Umfragedaten bestätigen einen Wandel. In vielen Entwicklungsländern in Südostasien und Afrika scheinen die Menschen sich neu sowohl Söhne als auch Töchter zu wünschen. Hat ein Paar also bereits einen Sohn, steigt der Wunsch nach einer Tochter und umgekehrt.
In den entwickelten Ländern mehren sich Anzeigen für eine Vorliebe für Töchter. In Südkorea wünscht sich knapp die Hälfte der werdenden Mütter ein Mädchen. Umfragen in Japan deuten auf eine deutliche Präferenz für Mädchen hin. Auch in Amerika legen Studien nahe, dass es eine Wende in der Präferenz des Geschlechts des Kindes gegeben hat.
Die Gründe, die zur Trendwende führten, sind nicht klar. Es werden aber erste Vermutungen dazu angestellt. In einer US-Studie gaben Männer, die lieber eine Tochter als einen Sohn haben, an: Mädchen seien "leichter zu erziehen", "interessanter" und "komplexer" sowie "körperlich weniger anspruchsvoll" als Buben.
In vielen westlichen Ländern werden Männer im Teenageralter häufiger zu Tätern und Opfern von Gewaltverbrechen. Sie begehen auch häufiger Suizid. In allen Bildungsstufen sind Buben den Mädchen unterlegen. In ihrem Buch "Boymom" schreibt Autorin Ruth Whippman, Eltern hätten wegen neuen öffentlichen Diskursen heutzutage Angst, ihre Söhne könnten zu Vergewaltigern oder Amokläufern werden.
Länder wie China oder Indien, aber auch Japan leiden unter der jahrelangen Bevorzugung von Männern. So finden viele Männer keine Frauen mehr und sind vereinsamt und kinderlos. Eltern wünschen sich deshalb vermehrt Töchter, für die es einfacher ist, eine neue Familie zu gründen. Trotzdem werden gerade in China noch immer 100.000 Babys abgetrieben, nur weil sie weiblich sind.