Weltweit bekommen die Menschen immer weniger Kinder. In vielen Ländern ist die Geburtenrate heute bereits unter das sogenannte Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau gefallen – und sinkt weiter. Doch warum bekommen wir überhaupt weniger Kinder? Und was bedeutet das für unsere Zukunft – für Pensionen, Arbeitsplätze, Pflege, Wohlstand und geopolitische Macht?
Ein breiter Konsens unter Demografen und Soziologen lautet: Der Kinderwunsch ist nicht verschwunden – aber schwieriger umzusetzen. Das sind die Gründe dafür:
Neben den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Faktoren spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle. In einer Umfrage unter 14.000 Menschen in 14 Ländern haben gemäß BBC 12 Prozent Unfruchtbarkeit als Grund dafür angegeben, nicht die gewünschte Anzahl Kinder bekommen zu haben. Studien legen nahe, dass Chemikalien wie Pestizide und Schwermetalle oder die als Ewigkeitschemikalien bekannten PFAS die Fruchtbarkeit und die Spermienqualität beeinträchtigen können. Diese Faktoren spielen beim weltweiten Geburtenrückgang laut der UN aber nur eine untergeordnete Rolle.
Der diesjährige Bericht des Forschungsinstituts Bruegel erklärt, welche Risiken durch eine tiefe Geburtenrate für Pensionen, Pflege und Arbeitsmarkt entstehen, warum Migration allein nicht reicht, und was Länder konkret tun sollten.
Pensionskrise
In vielen Ländern zahlen die Berufstätigen mit ihren Beiträgen die Pensionen der älteren Generation. Aber es gibt immer weniger junge Menschen und immer mehr Rentner. Das bringt das System ins Wanken.
Das Forschungsinstitut Bruegel warnt: In Ländern wie Deutschland oder Italien wird es bald schwierig, genug Geld für die Pensionen aufzubringen. Damit das System weiter funktioniert, müssten entweder die Beiträge steigen, die Pensionen sinken – oder Menschen länger arbeiten.
Pflegekrise
Mit dem demografischen Wandel wächst nicht nur die Zahl pflegebedürftiger älterer Menschen – gleichzeitig sinkt das Angebot an Pflegekräften rapide. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass weltweit bis 2030 über 18 Millionen zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden, allein in Europa mehrere Millionen.
Arbeitsmarkt
Unternehmen finden kaum Nachwuchs. Das betrifft Industrie, Handwerk, Pflege, Bildung und IT. Zudem altert die Belegschaft, was sich auf Innovationsfähigkeit und Produktivität auswirkt.
Machtverschiebung
Während in Europa die Gesellschaften altern und schrumpfen, wächst in Afrika eine junge, dynamische Bevölkerung heran. Afrika hat mit rund 19 Jahren das jüngste Durchschnittsalter weltweit – in Europa liegt es bei fast 45 Jahren. Wie Politikwissenschaftler Heribert Dieter gegenüber der "Welt" sagt, sind junge Gesellschaften wirtschaftlich flexibler, innovativer und wehrfähiger. Alternde Länder verlieren dagegen an Einfluss.
Afrikas Bevölkerung wächst – und mit ihr der politische Anspruch. In den nächsten Jahrzehnten wird der Kontinent mehr Mitsprache in Organisationen wie der UNO fordern. Europa dagegen droht, wirtschaftlich und geopolitisch zurückzufallen.
Migration hilft, Alterungseffekte kurzfristig abzufedern, aber sie ist laut der Forschungsgruppe langfristig keine nachhaltige Lösung – vor allem nicht als Ersatz für höhere Erwerbsquoten und Bildungsinvestitionen, zusätzliche Maßnahmen wie höhere Erwerbsbeteiligung und bessere Bildung. In vielen Ländern konzentrieren sich Migranten in Großstädten, was regionale Ungleichheiten verschärft, Integration ist oft schwierig: Bildungsrückstände, Sprachbarrieren und soziale Ausgrenzung bremsen den Erfolg. Der globale "War for Talents" führt dazu, dass vor allem wohlhabende Länder die besten Arbeitskräfte anziehen.
Deutschland
Deutschland setzt auf Migration und familienpolitische Unterstützung, um die Folgen des demografischen Wandels abzufedern. Die Geburtenrate stagniert seit Jahren bei etwa 1,5 Kindern pro Frau. Ziel der deutschen Familienpolitik ist es nicht, die Geburtenrate direkt zu steigern, sondern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und Eltern in ihrer Lebensrealität zu unterstützen. Instrumente wie Elterngeld, Kita-Ausbau und steuerliche Entlastungen sollen es erleichtern, sich für Kinder zu entscheiden – bisher jedoch mit begrenzter Wirkung.
Frankreich
Frankreich kombiniert hohes Kindergeld, Wohnhilfen, steuerliche Vorteile und flächendeckende Kinderbetreuung. Das Ergebnis: Mit rund 1,6 Kindern pro Frau hat Frankreich eine der höchsten Geburtenraten Europas. Experten sehen darin ein wirkungsvoll abgestimmtes Gesamtsystem.
Afrikanische Länder
Trotz der mit Abstand höchsten Geburtenrate und dem größten Anteil junger Menschen stehen sie vor dem Problem eines sehr starken Bevölkerungswachstums. Länder wie Ruanda, Nigeria oder Tansania beginnen offen über Familienplanung zu sprechen – ein Wandel in einer Region mit bisher sehr hohen Geburtenraten. Es geht um Aufklärung, bessere Bildung für Mädchen und Zugang zu Verhütung. Unterstützt werden diese Initiativen unter anderem auch von der Afrikanischen Union und der UNFPA (Bevölkerungsfonds der UN).