Ukraine-Krieg

Wegwerf-Agenten – Putin missbraucht Ukrainer als Bomber

Russland rekrutiert junge Ukrainer für Sabotageakte – und macht sie unwissentlich zu Selbstmordattentätern.
31.07.2025, 14:36
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Oleh sollte für 1.000 Dollar eine Polizeistation in Riwne mit Farbe verschmieren. Doch die Tasche, die der 19-jährige Ukrainer dort fand, enthielt keine Spraydosen, sondern eine primitive Bombe und ein daran befestigtes Mobiltelefon, offenbar ein Fernzündmechanismus. Wäre der Sprengsatz explodiert, wäre Oleh zum "unwitting suicide bomber" geworden, zum unwissentlichen Selbstmordattentäter.

Russlands Sabotagekampagne zielt vor allem auf westukrainische Regionen ab und ist Teil eines Schattenkrieges, der parallel zu den Kämpfen an der Front tobt. Ende 2024 ging man von Brand- zu Bombenanschlägen über. Die neueste Stufe sind nun offenbar Operationen mit unwissenden Attentätern.

"Die russischen Dienste sprengen ihre eigenen Agenten in die Luft; das ist business as usual", sagt SBU-Sprecher Artem Dekhtiarenko dem "Guardian". Schon warnen die ukrainischen Dienste: Bei uns probt Moskau, was es künftig gegen den Westen einsetzen will. Was hat es damit auf sich? Frage an den Geheimdienstexperten Adrian Hänni.

Was hat es mit den "unwissentlichen Selbstmordattentätern" auf sich?

Den Einsatz von sogenannten Wegwerf-Agenten kennt man schon länger: Man rekrutiert statt auszubildende Agenten meist junge Leute über Telegram und andere soziale Medien, die in einer schwierigen Lebenssituation sind und Geld brauchen. Sie werden für einfache Aufgaben eingesetzt und pro Auftrag bezahlt. Das konnte man seit 2023 häufig beobachten. Neu ist, dass der Einsatz von unwissentlichen Selbstmordattentätern offenbar schon gängige Praxis für Anschläge in der Ukraine ist. Das stellt eine neue Eskalationsstufe dar.

Wieso tötet man eigene Handlanger?

Es ist eine zynisch-logische Konsequenz dieser Art von Agenten. Im Englischen nennt man sie "Single Use Agents", obwohl sie bereits einfachere Aufträge ausgeführt haben können, bevor man sie auf eine Selbstmordmission schickt. Ihr operativer Vorteil: Rekrutierte Ukrainer oder Ukrainerinnen, auf deren Leben man keine Rücksicht nehmen muss, können mit einer Bombe leichter großen Schaden anrichten, etwa in einer Polizeistation oder einem vollen Rekrutierungsbüro. Blutige Anschläge auf derlei Ziele erzeugen erst recht Angst und Schrecken. Dafür nimmt man in Kauf, dass man die Handlanger verliert. Man hat in diese ja auch nicht investiert und sie nicht zu vollwertigen Agenten ausgebildet, die über Jahre eingesetzt werden.

Erschwert das auf die Dauer nicht die Rekrutierung?

Ja, das ist tatsächlich das Risiko. Und das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass die Ukraine ihre Bevölkerung mit einer Informationskampagne auf die Gefahr aufmerksam machen will. Aber wie gesagt: Der Einsatz solcher "Wegwerf-Agenten" ist nicht zwangsläufig darauf angelegt, dass es für immer funktioniert, sondern er ist stark auf den Moment ausgerichtet.

Kommen zum aktuellen hybriden Krieg gegen Europa künftig auch Selbstmordattentate?

Bislang beschränkt sich das auf die Ukraine, meines Wissens hat es keine Versuche gegeben, solche Selbstmordoperationen in einem hybriden Kriegsszenario im Westen zu lancieren. Und doch: US-Präsident Donald Trump hat gestern sein Ultimatum zu den Sanktionen spontan auf 10 bis 12 Tage runtergesetzt. Der einstige Präsident Medwedew hat als Reaktion angekündigt, dass es schnell auch zum Krieg mit den USA kommen könnte. Solche Drohungen haben wir in den letzten drei Jahren zwar häufig gehört. Trotzdem ist es durchaus denkbar, dass Russland menschliche Bomben im hybriden Kontext einsetzt, wenn die Beziehungen zum Westen weiter eskalieren. Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen. Aber von Russland rekrutierte Wegwerf-Agenten verüben in Westeuropa bereits Sabotageakte, die Menschenleben gefährden. Insofern könnten künftig auch "unwissentliche Selbstmordattentäter" in Erscheinung treten.

Inwiefern sind die Berichte über die unfreiwilligen Selbstmordattentäter ukrainische Propaganda?

Sie sind sicher Teil der Kriegspropaganda gegen Russland. Dennoch schließt das nicht aus, dass Russland damit tatsächlich ein gefährliches und natürlich sehr zynisches Mittel der Kriegsführung einsetzt.

Letztes Jahr sahen mehrere europäische Länder eine Reihe von Sabotageakten. Täuscht es oder sind es jetzt weniger?

Ich habe keinen Zugang zu den Informationen westlicher Geheimdienste, aber es ist mir auch aufgefallen. Im Gegensatz zu 2024 gibt es weniger öffentliche Informationen zu hybriden Aktionen von "Wegwerf-Agenten" - auch wenn über ein paar große Fälle zu lesen war, etwa in Großbritannien und in den letzten Wochen in Deutschland und der Schweiz. Die Möglichkeit besteht, dass zwar gleich viel passiert wie die letzten Jahre, aber wir aus ermittlungstaktischen Gründen darüber nicht mehr so häufig informiert werden.

Wieso?

Weil man vielleicht mit nachrichtendienstlichen Methoden solche Agenten ausheben konnte und man entsprechend diese Methoden und Quellen schützen will. Das ist natürlich jetzt alles Spekulation. Andererseits hatte man letztes Jahr tatsächlich ein starkes Interesse daran, derlei Fälle zu publizieren und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass es solche Agenten in Europa wirklich gibt. Und eben: Der Veröffentlichung solcher Fälle wohnt immer auch ein gewisses antirussisches Propaganda-Element inne. Es ist so immer ein Abwägen der Sicherheitsbehörden, ob und wann solche Fälle publik werden.

Adrian Hänni forscht am Forschungszentrum Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS).

{title && {title} } 20 Minuten,red, {title && {title} } Akt. 31.07.2025, 16:36, 31.07.2025, 14:36
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