Drei Kinder aufgezogen

"600 € Unterhalt, krank": ÖGK streicht Rezeptbefreiung

Helga V. erfährt in der Apotheke, dass für sie plötzlich keine Rezeptgebührenbefreiung mehr vorliegt. Ihre Medikamente kann sie kaum noch bezahlen.
Aram Ghadimi
29.07.2025, 05:15
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"Ich habe nicht einmal einen Tausender im Monat", sagt Helga V. mit hörbarer Verzweiflung zu "Heute". "Nach 50 Jahren Ehe hat mich mein Mann vor siebeneinhalb Jahren verlassen. Mit 75 wollte er nicht mehr", erzählt die 79-Jährige, die als Hausfrau drei Kinder aufzog und jetzt um jeden Euro kämpft.

Krank, zu 50 Prozent behindert und mit rund 600 Euro Unterhalt, sowie 300 Euro Sozialhilfe, schlägt sich V. alleine durch. Jetzt hat ihr die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) auch noch die Rezeptgebührenbefreiung gestrichen, sagt sie.

In der kleinen 1.000-Einwohner-Gemeinde zwischen Krems und St. Pölten, wo Helga V. wohnt, gibt es einen Unimarkt und einen Kindergarten. Die nächste Apotheke ist für V. nur mit dem Auto erreichbar. Das sei jedes Mal eine kleine Reise, mühsam, aber lebensnotwendig, denn die 79-Jährige muss derzeit elf Medikamente einnehmen.

11 Medikamente, keine Rezeptgebührenbefreiung

"Es ist eine lange Liste, die ich von meinem Arzt bekommen habe", sagt Helga V. und liest die Namen der Präparate einzeln vor. Es sind Arzneien für ihr Herz- und Kreislaufsystem, gegen erhöhten Blutzucker, zur Regulierung des Blutdrucks – kurzum Medikamente, auf die sie nicht verzichten kann. Doch, seit sie im Juni von der Apotheke erfuhr, dass keine Rezeptgebührenbefreiung vorliege, ist V. verzweifelt. Ihr Antrag war doch bewilligt worden.

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"Schon die 7,55 Euro Selbstbehalt waren für mich viel, aber seit Mitte Juni weiß ich nicht mehr weiter", sagt die Niederösterreicherin. "In der Apotheke muss ich jetzt den vollen Preis bezahlen. Venenstrümpfe habe ich seither nicht mehr gekauft."

Befreiung plötzlich rückgängig gemacht

Zu Hause ruft V. dann bei der ÖGK an und erfährt, dass ein Fehler passiert sei. Die Befreiung wurde nur fälschlicherweise zuerkannt. Ihr Gatte könne einen erneuten Antrag stellen, weil sie ja bei ihm mitversichert sei.

Helga V. lebt aber alleine, ihren Mann hat sie seit sieben Jahren nicht mehr gesehen: "Ich habe ihn dann angerufen, damit er einen Antrag stellt. Doch auch da hat die ÖGK abgewunken, weil er angeblich zu viel Pension bekommt. Ich kenne mich da nicht mehr aus."

Helga V., die ihr ganzes Leben zu Hause war, drei Kinder aufzog und den Haushalt führte, während ihr Mann als Baggerfahrer arbeitete, fühlt sich im Stich gelassen: "Ich war mein ganzes Leben für alle da, jetzt bekomme ich ein wenig Unterhalt und 300 Euro Mindestsicherung." Die Scheidung, sagt V., sei ihrem Mann zu teuer gewesen: "Er ist einfach gegangen." Zu den Kindern bestünde wenig Kontakt. Helga V. möchte ihnen "nicht auf der Tasche liegen", sagt sie.

"Vor drei Jahren hatte ich dann einen Herzinfarkt. Jetzt bräuchte ich eine Notrufuhr, kann die Uhr aber nicht bezahlen", sagt V. und wird dann leiser: "Wenn ich umfalle, keinen Anruf mehr schaffe, ist es einfach vorbei." Von dem wenigen Geld, das ihr bleibt, kaufe sie Lebensmittel. Und sie spart jetzt, wo sie kann: "Ich habe Heizkosten von 2.000 Euro im Jahr, das muss vom wenigen Geld auch noch übrigbleiben." Ihr Haus muss sie auch erhalten.

ÖGK: "schutzbedürftige Einzelfälle"

"Heute" wollte von der ÖGK wissen, warum Helga V. die Rezeptgebührenbefreiung nicht mehr gewährt wurde. Seitens der ÖGK heißt es dazu, dass man, nach Rücksprache mit der zuständigen Fachabteilung, zu folgendem Standpunkt betreffend des Anliegens von Frau V. komme: "Der Antrag auf Rezeptgebührenbefreiung ist grundsätzlich vom Hauptversicherten zu stellen, jedoch gibt es Ausnahmekonstellationen für besonders schutzbedürftige Einzelfälle."

Dann die Überraschung: "Auf Basis der ergänzenden Prüfung, kann im Fall von Frau V. die Befreiung von der Rezeptgebühr, aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit gemäß § 5 der geltenden Richtlinien (RRZ 2008) des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, gewährt werden. Die Befreiung gilt rückwirkend ab dem 04.06.2025."

Mehlspeise für pensionierte Lehrerin

"Jetzt bin ich aber überwältigt", sagt Helga V. hörbar erleichtert, als "Heute" ihr die Antwort der ÖGK übermittelt: "Seit 2018 habe ich jährlich einen Antrag gestellt, nur dieses Mal hat es nicht geklappt. Nichts hat geholfen."

Alle Rechnungen, bis auf eine über 8 Euro, habe sie aufgehoben, sagt V. und freut sich. Der Bekannten, die V. mit ihrem Computer unterstützt hat, damit dieser Zeitungsartikel entstehen konnte, möchte sie eine Mehlspeise vorbeibringen.

{title && {title} } agh, {title && {title} } Akt. 29.07.2025, 16:26, 29.07.2025, 05:15
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