Der Migrationsforscher Gerald Knaus erinnerte erst kürzlich in der ORF-"ZIB2" an die entscheidende Phase im Jahr 2015 im Rahmen der Flüchtlingswelle und der vorangegangenen Tragödie bei Parndorf. Am 26. August 2015 kamen 71 Menschen in einem Kühllaster, der von Ungarn nach Österreich kam, ums Leben. Ihre Leichen wurden einen Tag später im luftdicht verschlossenen Laderaum gefunden. Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" stand danach symbolisch für die Öffnung der Grenzen. Viele Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak und verschiedenen afrikanischen Staaten fanden so ohne Anhaltung den Weg nach Österreich.
Seit 2015 hat Österreich mehr als 175.000 positive Asylentscheidungen vergeben. Pro Kopf gerechnet, war das europaweit ein Spitzenwert. Damit zählt das Land zu den Staaten, die im Verhältnis zur Bevölkerung am meisten Schutz geboten haben. Zusätzlich zu den klassischen Asylverfahren hat Österreich später rund 80.000 Schutzsuchende aus der Ukraine aufgenommen. Damit unterstreicht das Land auch in der aktuellen Krise seine Bereitschaft, Geflüchteten Sicherheit zu geben.
Knaus betonte in der "ZIB2", dass Österreich und Deutschland in den letzten zehn Jahren gemeinsam über die Hälfte aller positiven Asylentscheidungen in der EU gefällt haben. Andere Mitgliedsstaaten hätten im Vergleich deutlich weniger Verantwortung übernommen. Trotz politischer Kontroversen sah Knaus die bisherige Linie Österreichs als klar positiv: Zehntausende Menschen erhielten Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Damit habe das Land eine wichtige humanitäre Rolle in Europa übernommen.
Was man aus der Tragödie und der Krise gelernt hat, wurde am späten Dienstagabend EU-Migrationskommissar Magnus Brunner (ÖVP) ebenfalls in der "ZIB2" von ORF-Moderator Armin Wolf gefragt. "Die Europäische Union hat sehr viel Verantwortung übernommen", so Brunner. "Aber mit einem System, das nicht wirklich funktioniert hat, so ehrlich muss man sein." Deswegen arbeite man nun an einer Reform des Asyl- und Migrationssystems, "das ist dringend notwendig, dass wir das umsetzen". 2026 solle die Reform umgesetzt werden, "das soll natürlich zu Verbesserungen führen".
"Das hätte schneller gehen müssen, das muss auch jetzt schneller gehen. Wir können nicht mehr so lange warten", so Brunner zur Frage, ob es eine solche Reform nicht spätestens bereits 2016 hätte geben müssen. Große Asylzentren an den EU-Außengrenzen, wo dann Asylanträge gestellt werden können, über die innerhalb von zwölf Wochen entschieden werde, wann solle es die geben? Mitte 2026 solle das Abkommen umgesetzt werden, "das ist ganz entscheidend", so Brunner. "Ab dann sollte es implementiert sein." Am Anfang erwarte Brunner "gewisse Schwierigkeiten", aber "die Umsetzung ist wichtig".
"Eine Balance zwischen Solidarität und Verantwortung", das solle der neue Pakt bringen, hieß es. Wie viele Asylzentren werde es geben? Das konnte der EU-Migrationskommissar nicht beanwtorten, aber es werde und müsse "genügend geben". Was passiere mit den Asylwerbern, die abgelehnt werden? Nicht funktionierende Rückführungen würden ebenfalls angepackt, so Brunner, dass bisher "nur einer von fünf" abgelehnten Asylwerbern rückgeführt werde, sei "nicht akzeptabel für die Europäische Union und deswegen müsse wir hier schneller werden".
Wie solle das funktionieren, wenn es erst den Entwurf für die neuen Rückführungen und noch kein einziges Abkommen mit einem Drittstaat gebe? Das sei "vollkommen richtig", so Brunner, man bringe jetzt "das europäische Haus" in Ordnung, aber es müsse noch viel mehr passieren. Sei er in Ost-Libyen weitergekommen, wo er zu Verhandlungen nicht einmal einreisen durfte? Die Zahlen seien etwas zurückgegangen, aber "wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir sprechen", so Brunner. Es müsse weiterverhandelt werden, mit allen potenziellen Partnern.
Plane er, mit dem Taliban-Regime zu verhandeln, um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen? "Auf technischer Ebene" fänden Gespräche bereits statt und "Ja, ich bin offen, mit jedem zu sprechen", hieß es. "Alles, was dazu beiträgt, dass wir bei den Rückführungen besser werden, werden wir tun", so Brunner. "Ich würde auf jeden Fall das Gespräch nicht verweigern." Die diplomatische Anerkennung eines Terror-Regimes wäre das aber nicht, so Brunner, man werde "keiner dieser Regierungen anerkennen".