Langzeitfolgen

Ewige Sperrgebiete – das Horror-Erbe von 2000 Atomtests

Die Zündung von Atombomben hat Spuren hinterlassen. Nicht alle sind sichtbar. Viele Areale strahlen bis heute. Das wurde aus ihnen.
01.11.2025, 21:04
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Atomtests sind keine neue Erfindung. Der erste erfolgte noch während des Zweiten Weltkriegs in den USA. Den letzten führte Nordkorea im Jahr 2017 durch. Nun hat US-Präsident Donald Trump ein neues Atomwaffen-Testprogramm befohlen.

Noch sind viele Fragen offen, etwa, wo sie stattfinden könnten. Die Tests der Vergangenheit fanden auf fast allen Kontinenten statt. Die meisten dieser Orte sind bis heute verseucht und entweder gar nicht oder nur sehr beschränkt zugänglich. Ein Überblick.

Am 16. Juli 1945 um 5 Uhr, 29 Minuten und 45 Sekunden explodierte die erste Atombombe der Welt. Damit hatte das Atomzeitalter begonnen.
USDE

"Bin zum Tod geworden, Zerstörer der Welten"

Vor mehr als 80 Jahren, am 16. Juli 1945, haben die USA auf der White Sands Missile Range in der Wüste New Mexicos mit dem Trinity-Test die erste Atombombe überhaupt gezündet. Die Plutonium-Implosionsbombe "The Gadget" hinterließ mit ihren 21 Kilotonnen Sprengkraft einen drei Meter tiefen und 330 Meter breiten Krater in der Wüste. Die enorme Hitze schmolz den Sand zu grünlichem Glas.

"The Gadget": Der Feuerball der ersten Atombombe der Menschheit 1/40 Sekunde nach der Zündung.
Los Alamos National Laboratory

Dem Vater der Atombombe, Robert Oppenheimer, war ab diesem Moment klar. Die Welt würde nie wieder dieselbe sein: "Ein paar Leute lachten, ein paar weinten, die meisten waren still", sagte er nach der Zündung. Später distanzierte er sich, zitierte dazu aus der Hindu-Schrift Bhagavadgita: "Jetzt bin ich zum Tod geworden, der Zerstörer der Welten."

General Leslie Groves und J. Robert Oppenheimer am Ort der Trinity-Explosion, 1945
Los Alamos National Laboratory

Drei Wochen nach dem erfolgreichen Trinity-Test befahl Präsident Harry S. Truman den Abwurf der Atombomben "Little Boy" und "Fat Man" über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki.

Bis heute ist der Krater weithin sichtbar – auch auf Satellitenbildern. Nicht sicht-, aber messbar ist die noch immer leicht erhöhte radioaktive Strahlung vor Ort. Die sogenannte "Trinity Site" ist heute ein Historisches Wahrzeichen der Vereinigten Staaten, aber weiter militärisches Sperrgebiet. Nur zweimal im Jahr, am ersten Samstag im April und Oktober, ist der Ort für wenige Stunden für die Öffentlichkeit zugänglich.

Wie 7300 Hiroshima-Bomben

Während des Kalten Krieges (1945–1991) wurden im Pazifik zahlreiche Atomtests durchgeführt. Berühmt-berüchtigt sind die Atolle Bikini und Enewetak der damals unter US-Kontrolle stehenden Marshallinseln, wo die Vereinigten Staaten zwischen 1946 und 1958 67 Atom- und Wasserstoffbomben zündeten.

Laut einer Analyse des amerikanischen Institute for Energy and Environmental Research betrug die auf den Marshallinseln gezündete Gesamtsprengkraft 108 Megatonnen, das entspricht dem Abwurf einer Hiroshima-Bombe an jedem einzelnen Tag über 20 Jahre.

Der radioaktive Fallout verstrahlte nicht nur das Testgebiet: Alle Atolle der Marshallinseln seien damals radioaktiv kontaminiert worden, auch jene, die zuvor nicht evakuiert worden waren. Viele Bewohner erkrankten in der Folge an Krebs. Auch die Zahl der Fehl- und Totgeburten und Geburtsfehler stieg an. Das Krebsrisiko für diejenigen, die dem radioaktiven Niederschlag ausgesetzt waren, war größer als 1:3. Es kam zu Umsiedlungen.

In den 1970er-Jahren durften die Bewohner zurückkehren, wurden bald aber erneut evakuiert, da neue Tests hohe Restradioaktivität in der Region nachwiesen. Heute leben auf den Marshallinseln je nach Quelle bis zu 60.000 Menschen, auf den Atollen Majuro (der Hauptstadt) und Kwajalein. Das Bikini- und das Enewetak-Atoll und andere Testorte sind bis heute nicht dauerhaft bewohnbar.

An diesen Orten fanden bisher Atomtests statt.
20min/Tom Vaillant

Brüchiger Atomsarg

Auf der Insel Runit im Enewetak-Atoll tickt eine Zeitbombe: In einem bei einem Atomtest entstandenen Krater wurden circa 100.000 Kubikmeter radioaktiv verseuchter Schutt, darunter strahlendes Plutonium, verkippt und Ende der 1970er-Jahre mit einem 46 Zentimeter dicken Betondeckel, dem "Runit Dome", abgedeckt.

Das Problem: Der "Dome" weist Risse auf und droht undicht zu werden. Fachleute und Umweltaktivisten fürchten, dass Taifune oder Sturmfluten den "Dome" brechen lassen könnten.

Tickende Zeitbombe: Der "Runit Dome" (im Bild 1980) verkapselt einen Atomkrater und sollte 25.000 Jahre halten. Schon jetzt zeigt er Risse.
GIFF JOHNSON / AFP / picturedesk.com

Französisch-Polynesien

Ähnlich sieht es im Südpazifik aus. In Französisch-Polynesien führte Frankreich zwischen 1966 und 1996 193 Atomtests durch. Zunächst auf dem Mururoa-, später auf dem Fangataufa-Atoll. Der Ortswechsel war nötig, da Mururoa als zu stark kontaminiert für die Mitarbeiter erklärt worden war. Allerdings war der Wechsel auf das andere Atoll nicht endgültig.

Der letzte Atomtest auf Mururoa fand am 27. Dezember 1995 statt, der letzte auf Fangataufa exakt einen Monat später, am 27. Jänner 1996. Beide Bomben wurden in einem unterirdischen Schacht gezündet. Im Jahr 2000 zogen die Franzosen von den Atollen ab. Bis heute lagern in 140 Bohrschächten große Mengen radioaktiven Abfalls.

Operation Licorne (Einhorn): Das Bild zeigt die französischen Atomtest am 3. Juli 1970 auf Fangataufa. Der Atoll ist dank 13 weiterer Testzündungen bis heute unbewohnbar.
Science Source / PhotoResearchers / picturedesk.com

Frankreichs Ära der nuklearen Tests hat bis heute Folgen für die Region: Überdurchschnittlich viele Menschen erkranken an Krebs, Kinder werden mit Fehlbildungen geboren. Wasser und Böden sind kontaminiert. Und das nicht nur auf den Atollen selbst: Die radioaktiven Wolken zogen über weite Teile des Südpazifiks hinweg. Sogar die mehr als 1000 Kilometer entfernte Hauptinsel Tahiti wurde teilweise erreicht. Das gesamte Ausmaß wurde erst 2021 durch die sogenannten "Moruroa Files" bekannt. Die Atolle sind bis heute militärisches Sperrgebiet.

Nowaja Semlja

Auch die Sowjetunion (UdSSR) führte ab 1949 zahlreiche Atomtests durch. Zunächst vor allem auf dem Kernwaffentestgelände Semipalatinsk in der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Dort konnten jedoch keine großen Wasserstoffbomben mit einer Sprengkraft von mehreren Megatonnen getestet werden.

Deshalb wurde als weiterer Standort die russische Doppelinsel Nowaja Semlja im Nordpolarmeer (heutiges Russland) auserkoren. Um Platz für das militärische Testgebiet zu schaffen, wurde die indigene Bevölkerung der Nenzen zwangsweise umgesiedelt.

Insgesamt über 130 Atom- und Wasserstoffbombentests wurden in Nowaja Semlja durchgeführt: oberirdische, unterirdische und unter Wasser. Unter anderem wurde dort am 30. Oktober 1961 die sogenannte Zar-Bombe, offiziell AN602 genannt, gezündet. Das führte zur größten jemals von Menschen verursachten Explosion. Der letzte Atomtest fand dort am 24. Oktober 1990 statt.

Rund um Nowaja Semlja wurden in der Vergangenheit zudem atomare Sprengköpfe, Behälter mit radioaktivem Müll, abgebrannte und nicht abgebrannte Brennstäbe, Atomreaktoren von abgewrackten oder versenkten U-Booten und auch ein komplettes Atom-U-Boot im Wasser versenkt.

"Sturmvogel" und "Poseidon"

Nowaja Semlja strahlt bis heute. In den Sedimenten der Chernaja-Bucht finden sich große Konzentrationen Plutonium, an radioaktives Caesium und Kobalt. Zusätzlich wurde in einigen Unterwasser-Organismen Plutonium festgestellt.

Dennoch dient das militärische Sperrgebiet weiterhin als Russlands einzig verbliebenes nukleares Testzentrum. Schwedische Medien berichteten im Sommer 2025 von erhöhten Aktivitäten auf dem Gelände. "Die Aktivitäten deuten laut amerikanischen Forschenden darauf hin, dass Russland einen Test seiner neuen atomgetriebenen Rakete vorbereitet", schreibt svt.se.

Tatsächlich hat der russische Präsident Wladimir Putin Ende Oktober bekannt gegeben, nuklear angetriebene Marschflugkörper vom Typ Burewestnik (russisch für "Sturmvogel", NATO-Name SSC-X-9 Skyfall) und die mit einem Atomantrieb versehene Unterwasserdrohne "Poseidon" getestet zu haben.

Punggye-ri

Über Nordkoreas Punggye-ri-Testgelände ist wenig Konkretes bekannt. Die insgesamt sechs nordkoreanischen Atombombentests fanden von 2006 bis 2017 in Tunneln im Inneren des Berges Mantap statt. Dieser soll dadurch so stark in Mitleidenschaft gezogen worden sein, dass das Gestein instabil wurde.

Experten sprechen in solchen Fällen vom Tired Mountain Syndrome (Müder-Berg-Syndrom). Nach dem letzten Test im September 2017 berichteten verschiedene Medien, dass ein Tunnel eingestürzt sei, wobei rund 200 Mitarbeiter und Rettungskräfte ums Leben gekommen seien.

38north.org/Meng Wei

Im Februar 2023 ergab eine Studie der Menschenrechtsorganisation Transitional Justice Working Group, dass sich radioaktive Stoffe im Grundwasser über acht Städte und Landkreise in der Nähe des Standorts ausgebreitet haben könnten. Die Strahlung stelle ein großes Risiko dar für die mehr als eine Million Menschen, die dort leben und das Grundwasser als Trinkwasser nutzen.

Zwischen 2017 und 2018 stellte das südkoreanische Vereinigungsministerium bei neun von 40 nordkoreanischen Überläufern aus der Umgebung von Punggye-ri erhöhte Strahlenwerte fest, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Das Ministerium erklärte jedoch, dass es keinen direkten Zusammenhang mit dem Testgelände herstellen könne.

{title && {title} } 20 Minuten,red, {title && {title} } 01.11.2025, 21:04
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