Der Fall Anna-Sophie wühlt seit Monaten auf. Neuester Aufreger: Der Freispruch für die zehn Angeklagten (16 bis 21 Jahre) am Freitag im Wiener Straflandesgericht. Zwei Beschuldigten wurde sexuelle Nötigung, dem Rest die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung vorgeworfen - "Heute" berichtete über den Prozess.
Der Hintergrund macht sprachlos: Die Angeklagten sollen, so der Vorwurf, in unterschiedlichen Konstellationen zwischen März und Juni 2023 in Wien-Favoriten etwa in einem Hotelzimmer, in Stiegenhäusern und einem Hobbyraum sexuelle Handlungen an der damals 12-jährigen Anna-Sophia (Name geändert) gegen deren Willen vorgenommen haben.
Alle Angeklagten - fünf davon sind vorbestraft, davon einer vor den Vorfällen mit Anna-Sophia - hatten sich nicht schuldig bekannt. Der (Jugend-)Schöffensenat befand die Burschen, allesamt mit Migrationshintergrund, nach knapp einstündiger Beratung für nicht schuldig - das Urteil ist nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft keine Erklärung abgab.
Während die Mutter von Anna-Sophia nach der Urteilsverkündung in Tränen ausbrach, schütteln auch Tage nach dem Prozess noch immer auch prominente Namen den Kopf. Die zuständige Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) kündigte am Montag eine Reform des Sexualstrafrechts an. Österreich soll das Zustimmungsprinzip "Nur Ja heißt Ja" gesetzlich verankern.
Auch die Obfrau der VPNÖ, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und ihre Stellvertreterin, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts stark. "Immer öfter sehen wir, dass das aktuelle Sexualstrafrecht nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspricht", werden Mikl-Leitner und Tanner in einer Aussendung zitiert.
Gernot Kanduth, Präsident der österreichischen Richtervereinigung, nahm am späten Montagabend in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Armin Wolf Stellung zu dem Fall. Die Staatsanwaltschaft prüfe nach einer Anzeige, "ob es zu einer wahrscheinlichen Verurteilung kommt", so Kanduth. Sei dies "überwiegend wahrscheinlich", müsse es eine Anklage geben.
Das Gericht prüfe die Anklage, so Kanduth, führe ein Beweisverfahren in der Hauptverhandlung durch und entscheide dann "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", es dürfe kein Zweifel an der Schuld der Ageklagten bestehen bleiben. Zum Fall sagte Kanduth: "Mir fehlt gänzlich die Aktenkenntnis" und er wolle kein nicht rechtskräftiges Verfahren beurteilen.
"Ich möchte hier keinen Parallelprozess in der Öffentlichkeit durchgeführt haben", so Kanduth, der OGH werde die Urteile jetzt prüfen. Müsse man die Urteile nicht zumindest besser erklären, wenn sie so heftige Reaktionen hervorrufen? Im konkreten Fall sei das "besonders schwer", so Kanduth, in der mündlichen Urteilsverkündung sei man an strenge Regeln gebunden.
Weil die Beweisaufnahme unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt sei, könne man daraus nicht Teile daraus bei der Urteilsverkündung nennen, so Kanduth. Das Straflandesgericht habe jedoch "eine absolut nachvollziehbare Begründung für das Urteil" geliefert, hieß es. Es habe keine Gruppenvergewaltigung gegeben, eine solche sei auch nicht angeklagt gewesen.
Warum sei aber nicht einmal der verbotene Sex mit einer Zwölfjährigen angeklagt gewesen? Kanduth berief sich erneut auf fehlende Aktenkenntnis und dass er nicht abgeschlossene Verfahren nicht kommentiere. "Auch zum Schutz des Opfers" glaube der Präsident zudem, "dass die Öffentlichkeit hier kein Informationsbedürfnis hat".
In der Urteilsbegründung gab der Schöffensenat an, dass es in den Angaben von Anna-Sophia große Widersprüche gab, "insbesondere zwischen den bei der Polizei getätigten Aussagen und jenen im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme vor Gericht. Auch die eingesehenen Chatverläufe verstärkten diesen Eindruck".
Für Opfer-Anwalt Sascha Flatz ist das Urteil völlig unverständlich: "Vor allem der Vorfall im Hotel wurde völlig außer Acht gelassen." Für die Mutter von Anna-Sophia sind die Freisprüche nicht nur eine Katastrophe, sondern auch ein völlig falsches Signal: "Auch, wenn das Verhalten der Burschen rechtlich nicht bestraft wird, moralisch war es einfach nicht in Ordnung."