In bereits 15 Jahren könnte die Rate der Gletscherschmelze in den Alpen ihren Höhepunkt erreichen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im Fachblatt "Nature" erschien. Die Studie unter Leitung von Lander Van Tricht prognostiziert einen dramatischen Anstieg des Gletschersterbens weltweit, das zwischen 2041 und 2055 seinen Höhepunkt erreichen wird. Mindestens die Hälfte aller Gletscher weltweit könnten demnach bis Ende des Jahrhunderts nicht mehr existieren.
Die Forscherinnen und Forscher um Lander Van Tricht nutzten drei verschiedene globale Gletschermodelle, um zu prognostizieren, wie sich die Zahl der Gletscher unter unterschiedlichen Erwärmungsszenarien bis zum Jahr 2100 entwickeln könnte. Dabei betrachteten sie vier Temperaturpfade: das im Pariser Abkommen angestrebte 1,5-Grad-Ziel, ein 2-Grad-Szenario, eine mittlere Emissionsentwicklung (ca. +2,7 °C) sowie ein hohes Erwärmungsszenario (+4,0 °C).
Die Ergebnisse zeigen ein deutliches Muster: Unabhängig vom Erwärmungsniveau wird die Zahl der Gletscher, die jährlich vollständig verschwinden – der sogenannte "Peak Glacier Extinction" – im mittleren Abschnitt des 21. Jahrhunderts liegen. Unter einer Begrenzung der Erderwärmung auf +1,5 °C wird der Höhepunkt bei etwa 2 000 Gletschern pro Jahr um das Jahr 2041 erwartet. Bei weiter steigenden Temperaturen bis zu +4,0 °C verschiebt sich dieser Gipfel nach hinten in die Mitte der 2050er Jahre und steigt auf etwa 4 000 Gletscher pro Jahr an.
Die internationalen Autorinnen und Autoren betonen, dass die Analyse nicht nur die rein physikalische Masse oder Fläche des Eises berücksichtigt, sondern die Anzahl der einzelnen Gletschermassen, die vollständig verschwinden. Diese Perspektive ergänzt bisherige Forschungsarbeiten, die meist die globale Eismasse oder Fläche in den Fokus stellen, und unterstreicht die breiten Folgen des Gletscherrückgangs für Gesellschaft, Kultur und Ökosysteme.
Die Studie identifiziert zudem große regionale Unterschiede: Kleinere Gletscher in Gebirgen wie den Alpen oder dem Kaukasus werden voraussichtlich schon früher verschwinden, oft noch vor oder um 2040. In Regionen mit größeren und langsam reagierenden Gletschern – etwa in der Arktis oder in Teilen Asiens – verschiebt sich das geschätzte Maximum des Verlusts weiter nach hinten. Dennoch gehen auch dort über Jahrzehnte signifikante Verluste einher.
Laut den Forschenden könnten unter einem starken Erwärmungsszenario bis Ende des Jahrhunderts weniger als 10 Prozent der heutigen Gletscher weltweit überleben, während bei konsequenter Klimapolitik (nahe +1,5 °C Erwärmung) ein deutlich höherer Anteil erhalten bleiben könnte.
Gletscher spielen eine wichtige Rolle für Wasserversorgung, Ökosysteme und touristische Regionen. Ihr fortschreitender Rückgang wirkt sich nicht nur auf Landschaften aus, sondern kann auch Trinkwassersysteme, Landwirtschaft und lokale Ökonomien beeinflussen. Das Studienteam hebt hervor, dass die untersuchten Unterschiede zwischen den Erwärmungsszenarien zeigen, wie stark politische Entscheidungen und Emissionspfade die Zukunft der Gletscher prägen könnten.