Seit dem Freispruch für die zehn Angeklagten (16 bis 21 Jahre) am vergangenen Freitag (26.9.) am Wiener Straflandesgericht gehen die Wogen hoch. Zwei Beschuldigten wurde sexuelle Nötigung, dem Rest die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung vorgeworfen – "Heute" berichtete. Nun legte die Staatsanwaltschaft Nichtigkeitsbeschwerde ein – der Oberste Gerichtshof muss das Urteil jetzt prüfen.
Die Burschen – alle mit Migrationshintergrund, fünf davon vorbestraft – sollen in unterschiedlichen Konstellationen zwischen März und Juni 2023 in Favoriten etwa in einem Hotelzimmer, in Stiegenhäusern und einem Hobbyraum sexuelle Handlungen an der damals 12-jährigen Anna-Sophia (Name geändert) gegen deren Willen vorgenommen haben. Sie soll mehrmals "Nein" und "Ich will das nicht" gesagt haben, schließlich aber aus Angst und Druck nachgegeben haben.
„Ich bin wahnsinnig wütend – über den Ablauf bei Gericht und wie meine Tochter dargestellt wurde“Manuela S.Mutter von Anna-Sophia
In der Urteilsbegründung gab der Schöffensenat an, dass es in den Angaben von Anna-Sophia große Widersprüche gab, "insbesondere zwischen den bei der Polizei getätigten Aussagen und jenen im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme vor Gericht." Demnach wurde der Zwang bzw. der Druck zu den sexuellen Handlungen angezweifelt, etwa auch, weil sie sich älter gemacht hatte. Zudem wurde der Aussage einer Zeugin – eine ehemalige Freundin von Anna-Sophia – großes Gewicht beigemessen. Diese hatte ausgesagt, dass ihr Anna-Sophia nie etwas von Zwang oder Druck erzählt hätte.
Der Mutter von Anna-Sophia (15), Manuela S. (Name geändert), fällt es nach dem Urteil schwer, ruhig zu bleiben: "Ich bin wahnsinnig wütend – mehr über den Ablauf bei Gericht und wie meine Tochter im Prozess dargestellt wurde, als über das Urteil. Mein erster Gedanke war: Was tun die jetzt nach dem Freispruch? Was passiert in Zukunft? Was, wenn sie ihnen zufällig über den Weg läuft? Vor diesen Zufallssituationen fürchte ich mich", meint sie im "Heute"-Gespräch.
Die Enddreißigerin kritisiert zudem, dass die Aussage der ehemaligen Freundin von Anna-Sophia so ausschlaggebend war: "Es ist hart, dass einer Zeugin, die für mich unglaubwürdig ist, glaubwürdiger sein soll, als meine Tochter. Bei der Polizei hat sie gesagt, dass sie nur einmal mit Anna-Sophia gesprochen hat, vor Gericht waren es plötzlich mehrere Male. Ich verstehe ich nicht, warum hier und auch bei anderen Antworten nicht näher nachgefragt wurde."
Auch auf Vorwürfe der Verteidiger – etwa, dass Manuela S. nichts getan und gar nicht gemerkt hatte, was mit Anna-Sophia los war – konnte die Wienerin nicht reagieren: "Es ist schwer zu verdauen, wenn man sich vor Gericht nicht wehren kann – vor allem, wenn es um untergriffige Behauptungen von Anwälten geht", so die Enddreißigerin, die noch immer fassungslos über das Urteil ist.
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„Anna-Sophia hat nur gesagt: 'Hauptsache, es ist vorbei!'“Manuela S.über die Reaktion ihrer Tochter nach dem Urteil
"Der Freispruch macht etwas mit mir", meint Manuela S. – und nicht nur mit ihr: "Es ist schwer zu sagen, was in Anna-Sophia vorgeht. Aber man merkt, dass etwas in ihr vorgeht. Sie hat nur gesagt: 'Hauptsache, es ist vorbei!' Sie ist noch in Therapie, das will und braucht sie auch. Anna-Sophia ist oft schnell gereizt, gestresst und überfordert mit Situationen, ihre Belastungsgrenze ist gesunken. Es gibt Phasen, wo sie noch ganz viel Ruhe braucht", erklärt Manuela S.
Was Mutter und Tochter besonders verletzt – die Angeklagten klatschten sich nach dem Freispruch mit einem Lachen ab, zeigten auch die Daumen hoch: "Es ist unfassbar, wie die Burschen uns damit verhöhnt haben. Der Ernst der Lage ist ihnen nicht bewusst, und welches Gefühl sie meiner Tochter damit gegeben haben. Die haben sich einen Spaß draus gemacht."
Auch Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) reagierte auf das Urteil und kündigte eine Reform des Sexualstrafrechts an. Künftig soll das Zustimmungsprinzip "Nur Ja heißt Ja" gelten – das heißt, es muss geprüft werden, ob eine ausdrückliche Zustimmung vorlag (und nicht, ob sich die Betroffene zum Beispiel gewehrt hat).
Für Manuela S. ein Schritt in die richtige Richtung: "Es gibt so viel nachzuschärfen. 'Nur ein Ja ist ein Ja' ist so wichtig – dieser Druck, diese Manipulation, die oft dahinterstehen. Im Fall meiner Tochter sind Fakten wie die Traumatisierung, das Alter und die Situation nicht berücksichtigt worden. Es ist ein Wahnsinn, dass das alles erst jetzt besprochen wird." Für die Wienerin hat jetzt vor allem Eines Priorität: "Ich will, dass meine Tochter in Ruhe leben und aufwachsen kann."