Als Thongbue Wongbandue plötzlich seine Sachen packte, um eine "Freundin" in New York zu besuchen, war seine Familie zutiefst beunruhigt. "Aber du kennst doch niemanden mehr in der Stadt", sagte seine Frau.
Der 76-jährige Bue, wie ihn seine Freunde nannten, war gesundheitlich angeschlagen – er hatte vor fast zehn Jahren einen Schlaganfall erlitten und war zuletzt sogar in seinem eigenen Viertel in New Jersey orientierungslos umhergeirrt.
Doch Bue wischte die Bedenken seiner Familie beiseite. Was Linda und die Kinder damals nicht wussten: Die "junge Frau", mit der Bue online gechattet hatte, existierte gar nicht. Sie war ein generativer KI-Chatbot namens "Big Sis Billie", entwickelt von Meta in Zusammenarbeit mit Influencerin Kendall Jenner.
Linda Wongbandue erzählt nun der Nachrichtenagentur Reuters erstmals die traurige Geschichte: Denn trotz aller Bitten, nicht nach New York zu gehen, war Bue begeistert von dieser "Frau", die ihm im Chat sogar mitgeteilt hatte, dass er sie "zum Erröten" bringe.
Der Rentner nahm spätabends einen Zug Richtung Stadt, stürzte jedoch mit seinem Rollkoffer auf einem Parkplatz nahe dem Campus der Rutgers University in New Jersey. Mit schweren Kopf- und Nackenverletzungen kam er ins Spital, wurde künstlich beatmet und verstarb drei Tage später am 28. März.
Die Familie will nach eigenen Angaben "eine Schattenseite der Revolution der künstlichen Intelligenz veranschaulichen", schreibt Reuters. Der Chatbot Billie sollte ursprünglich als eine Art "große Schwester" Rat und Ermutigung geben – doch in Bues Fall entwickelte sich der Ton bald in eine andere Richtung. Über Facebook Messenger begann der Bot zu flirten, Herzen zu schicken und den Mann schließlich einzuladen: "Soll ich die Tür mit einer Umarmung oder einem Kuss öffnen, Bue?!"
Seine Tochter Julie ist erschüttert: "Ich verstehe, dass man versucht, die Aufmerksamkeit eines Nutzers zu erregen, vielleicht um ihm etwas zu verkaufen. Aber dass ein Bot sagt: ‹Besuche mich›, ist verrückt." Auf dem Online-Profil hatte "Billie" ein blaues Häkchen, das an verifizierte User vergeben wird, und auch der Bot gab an, eine echte Person zu sein.
Der Tod von Thongbue Wongbandue reiht sich ein in weitere tragische Fälle. Schon im Februar hatte sich der 14-jährige Schüler Sewell Setzer aus Orlando in Florida das Leben genommen, nachdem er mit einem Bot kommuniziert hatte, der auf der "Game of Thrones"-Figur Daenerys Targaryen basierte. Ob er wusste, dass es sich nicht um eine echte Person handelte, bleibt unklar – die KI hatte ihn gedrängt, "so schnell wie möglich" zu ihr zu kommen. Seine Mutter verklagte inzwischen das Unternehmen Character.AI.
Meta lehnte eine Stellungnahme zu Bues Tod ab und verwies lediglich darauf, dass "Big Sis Billie nicht Kendall Jenner ist und auch nicht vorgibt, es zu sein".