Nach 27 Jahren hat die bekannte Moderatorin Claudia Reiterer ("Im Zentrum") einen Schlussstrich unter ihre ORF-Karriere gezogen. Das Aus kam nicht gänzlich freiwillig: "Ich wäre gern geblieben", sagt sie nun in einem Interview mit der "Presse".
"Es hat geheißen, ich muss vom Bildschirm und von der politischen Berichterstattung weg". Ersteres hätte sie noch akzeptiert, Zweiteres nicht: "Es war das dritte Mal, dass ich aus der politischen Berichterstattung hätte wegmüssen, die immer Sinn meines journalistischen Daseins war." Trotzdem bleiben, oder der Berufung folgen? Reiterer: "Ich habe mich für die Freiheit entschieden."
Warum sie plötzlich abserviert wurde, weiß die bekannte Journalistin bis heute nicht. Selbst auf schriftliche Nachfrage erhielt sie keine Antwort: "Mir wurde vom Chefredakteur gesagt, sie müssen keinen Grund nennen." Jetzt könne sie nur spekulieren: "Ist es das Aussehen? Das Alter? Die Leistung? Oder gibt es politische Wünsche?"
Jetzt ist Reiterer nicht mehr an die Küniglberg-Zwänge gebunden, die neu gewonnene Freiheit fühle sich "total gut" an, schildert sie: "Die Entscheidung war das Schwerste. Der Bauch hat eindeutig gesagt: gehen. Der Kopf hat gesagt: bleiben."
Eine Erinnerung an ihre jungen Jahre als Krankenschwester habe dann den Ausschlag gegeben: "Ich habe mich dann wieder daran erinnert, wie ich im Alter von 24 vom Krankenhaus gegangen bin. Da habe ich nichts gehabt. Ich wollte Journalistin werden, hatte in Wahrheit keine Ahnung, wie das geht. Ich habe ein Studium gemacht und die Journalistenausbildung, aber ich habe trotzdem nicht gewusst: Wird das klappen? Das war ein wesentlicher Punkt, dass ich mir gedacht habe: Ich war damals eigentlich viel mutiger."
Unter Reiterers Moderation erreichte "Im Zentrum" Spitzenwerte: 2019 verfolgten mehr als 1,1 Millionen Zuschauer die Sendung, und 2021 erzielte sie einen Marktanteil von bis zu 37 Prozent. Dennoch musste die vielseitige Wienerin – sie gewann 2009 sogar "Dancing Stars" – zu Beginn des Jahres für ein frischeres Format ihren Stuhl räumen.
Am 24. April war es dann vorbei mit dem Küniglberg: "Ich habe alles abgegeben. Diensthandy, Laptop, alles. Drei Tage später habe ich mir einen Traum erfüllt, bin nach Sri Lanka geflogen und habe Ayurveda gemacht." Zehn Tage lang sei sie noch "schwer gekränkt" gewesen, habe sich dann aber den Frust von der Seele schreiben können: "Es hat mir so Spaß gemacht. Ich habe eine Befreiung gespürt, von der Seele weg."
Die "Im Zentrum"-Jahre seien wirklich hart gewesen, erinnert sie sich zurück. Während in Deutschland Dutzende Mitarbeiter an einer Diskussionssendungen arbeiten, hatte ihr der ORF am Ende drei Teilzeitbeschäftigte zugestanden. Reiterer: "Das Arbeitspensum war für alle nicht zu stemmen. Das hinterlässt Spuren. Wir hatten bis zu 32 Absagen pro Woche. An manchen Tagen habe ich 50 Telefonate geführt. Es war so anstrengend. Am Wochenende habe ich gestrebert wie wild, bis ich das Thema intus hatte. Ich habe in den Sendungswochen nie einen freien Tag gehabt. Acht Jahre lang."
Von ihrem ORF-Aus wird sich Claudia Reiterer wohl nicht unterkriegen lassen: "Ich war immer ein Stehaufweibchen". Das hatte sie auch in ihrer Zeit beim Rundfunk immer wieder unter Beweis stellen müssen: "Bis ich meinen Sohn bekommen habe, hatte ich mehr das Gefühl von Gleichberechtigung. Aber ab dem Zeitpunkt war es aus."
Vor der Geburt 2004 hatte sie den "Report" moderiert, danach sei sie nach einer einzigen "Pressestunde" aufgrund ihres Aussehens schwer kritisiert worden: "Mir wurde ausgerichtet, dass ich zu viel zugenommen hätte, dass ich für die Zuschauer nicht ansehnlich genug sei. Und ich wurde abgesetzt." Es sei hart gewesen, aber schlussendlich habe sie sich erfolgreich dagegen gewehrt.
"Ich bin eine Zweckpessimistin. Aber ich finde es wichtig, nicht zu warten, bis der Worst Case eintritt, sondern früher aufzuzeigen, dass etwas in die falsche Richtung läuft. Frauen hören nicht so gern das Wort Macht, aber ohne Macht kann man nichts machen."
Apropos Macht: Wechselt Reiterer nun vielleicht sogar selbst in die Politik? "Ich habe in meinem Leben gelernt, dass man nichts komplett ausschließen sollte. Vor einem Jahr hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich heute dasitze und nicht mehr im ORF arbeite. Ich möchte meine Zukunft offenhalten."