Laut Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) sind 440 Arzneimittel nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Besonders dramatisch: Darunter finden sich bekannte Namen wie Ritalin, das bei ADHS eingesetzt wird, oder Metformin, das Millionen Diabetikern verschrieben wird.
Auch Paracetamol, das wichtigste Schmerz- und Fiebersenkmittel für Kinder, ist betroffen – ebenso wie Epilepsie-Medikamente oder Antidepressiva.
"Wenn Kunden sich bei der Apotheke beschweren, ist das nachvollziehbar – aber wir selbst wissen nicht, warum Medikamente fehlen oder wie lange der Engpass noch dauert. Die Apotheker warten gemeinsam mit den Patienten", sagt Wolfgang Müller, Sprecher der Österreichischen Apothekerkammer, im "Heute"-Gespräch.
Apothekern gelingt es in über 95 Prozent aller Fälle, das Problem von vorübergehend nicht lieferbaren Medikamenten zu lösen, heißt es. Auf der Website schreibt die Apothekerkammer: "Die Apotheken tragen an diesem Mangelphänomen keine Schuld, es bedeutet für sie jedoch erheblichen Zusatzaufwand. Rund 15 Stunden pro Woche investiert jede Apotheke im Schnitt, um für jede/n betroffene/n Patient:in eine gleichwertige Lösung zu finden."
Und weiter: "Im günstigsten Fall ist ein wirkstoffgleiches Generikum als Ersatz für das nicht lieferbare Fertigarzneimittel verfügbar. Aufwendiger ist es, ein Medikament aus einer anderen Apotheke oder dem Ausland zu organisieren. Und immer öfter müssen die Apotheker:innen auch ein Arzneimittel im apothekeneigenen Labor in Handarbeit patientenindividuell herstellen."
Die Ursachen liegen meist außerhalb Österreichs: Die meisten Wirkstoffe stammen aus riesigen Fabrikzentren in China oder Indien. Kommt es dort zu Problemen – etwa an Häfen oder durch Zollverzögerungen – reißt die Versorgungskette sofort ab.
"Wenn einem Gast im Lokal das Essen nicht schmeckt, beschwert er sich auch zuerst beim Kellner. Der Kellner kann aber gar nichts dafür, der kann den Gast auch nur zur Küche begleiten, wo der Koch gekocht hat. So ist das auch mit Apothekern, die gar nichts für den Medikamente-Notstand können. Wir sind selbst von Lieferproblemen betroffen", so Müller.
Bei genauerer Betrachtung ist Niederösterreich im Bundesländer-Schnitt besonders betroffen, sollte der Ritalin-Wirkstoff Methylphenidat nicht mehr lieferbar sein: Im Jahr 2023 wurden ÖGK-Abrechnungsdaten zufolge 1.460 minderjährige Niederösterreicher mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) mit dem Wirkstoff behandelt. Der Medikamenten-Engpass betrifft auch grob geschätzt 80.000 Niederösterreicher, die auf eine Diabetes-Medikation angewiesen sind.
In Niederösterreich greifen rund 150.000 Menschen regelmäßig zu Psychopharmaka – davon nimmt jeder Fünfte Antipsychotika, etwa mit dem Wirkstoff Quetiapin. Die größte Gruppe an Psychopharmaka bilden jedoch Antidepressiva und Stimmungsaufheller wie etwa Escitalopram, Sertralin oder Venlafaxin.
Immer wieder kommt es zu Lieferengpässen, besonders bei Antidepressiva wie Escitalopram und Venlafaxin. Quetiapin gilt als eines der am häufigsten eingesetzten Antipsychotika in Österreich. Derzeit ist es überwiegend lieferbar, kann aber in einzelnen Packungen oder Generika knapp werden.
Die Apothekerkammer betont zudem, dass Apotheken sich seit der Pandemie besser ausgestattet haben: "Für rezeptfreie Mittel gibt es schon lange eine Bevorratung, die auch seit der Pandemie in den meisten Apotheker größer geworden ist." Dabei beruft sich die Kammer aber wegen der bevorstehenden Erkältungswelle auf Fieber- und Schmerzmittel wie Paracetamol, Ibuprofen oder Aspirin.
Doch die EU warnt: Medikamenten-Engpässe haben ein Rekordhoch erreicht. Auch der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreich (Pharmig) kritisiert, dass Österreich mit seiner Tiefpreis-Politik Hersteller vertreibt. Im diesjährigen Austrian Health Report ist von Medikamenten als "Spielball zwischen Protektionismus und Patientenzugang" die Rede.
Fakt ist: Ob Ritalin für Schüler mit ADHS, Metformin für Diabetiker oder Quetiapin für psychisch Kranke: die Medikamente sind mit etwas Glück und viel logistischem Geschick in einer der umliegenden Apotheken aufliegend. Aber niemand weiß, wann das nächste Loch in der Versorgung aufreißt.