Austritte halten an

Sogar die Kirche spart – Gotteshäuser werden Immobilien

Mitgliederzahlen sinken, Gebäude stehen leer – in NÖ werden Kirchen verkauft. An der Gemeinde Hirschwang zeigt sich, wie tief der Wandel reicht.
Aram Ghadimi
07.08.2025, 05:00
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Die katholische Kirche verliert in Österreich weiter an Boden. Das betrifft nicht nur die rückläufige Zahl der Gläubigen, denn schon länger landen auch Immobilien der Kirche im Abverkauf. So auch in mehreren Gemeinden Niederösterreichs, wo in den vergangenen Jahren Kirchen veräußert wurden.

Erst kürzlich stand ein weiteres Gotteshaus zum Verkauf: die Kirche zum heiligen Josef der Arbeiter in Hirschwang an der Rax (Bezirk Neunkirchen). Der Trend spiegelt eine tiefgreifende strukturelle Veränderung im Umgang der Kirche mit ihren Gebäuden – und mit ihrem Selbstverständnis.

Verschlankung

Zum Hintergrund: Die Erzdiözese Wien versucht, ihren Immobilienbestand zu verschlanken. Wie das konkret aussieht, zeigt das Beispiel der barocken Augustinerkirche in Korneuburg. Vor rund zwei Jahren wurde sie samt angrenzendem Kloster um rund 300.000 Euro an ein Wiener Immobilienunternehmen verkauft, welches das gesamte Ensemble in eine Event- und Kulturlocation mit öffentlicher Nutzung umgestalten will.

Kirche stellt Bedingungen

Dabei soll aber der Denkmalschutz gewahrt bleiben: Die Kirchenbänke dürfen nicht entfernt werden, das Fresko muss öffentlich zugänglich bleiben, und eine Vermietung ist nur an ökumenische Glaubensgemeinschaften erlaubt. Zeitgleich sollen im angrenzenden Neubau, der auf dem Klostergelände geplant ist, Büros, Wohnungen, eine Bibliothek sowie ein Café entstehen – archäologische Grabungen begleiten die Bauarbeiten.

Überall in Westeuropa

In Mödling kam 2024 mit der Kirche St. Michael ein weiteres kirchliches Objekt unter den Hammer. Für Josef Grünwidl, Apostolischer Administrator der Erzdiözese Wien, ist klar: Der Prozess sei unausweichlich. Gegenüber dem ORF sagt er, Österreich stehe am Beginn einer Entwicklung, die in vielen Teilen Westeuropas längst Realität ist. Die Infrastruktur, so die Einschätzung der Kirche selbst, stammt aus einer Zeit, in der der Großteil der Bevölkerung regelmäßig zur Messe ging. Heute passen viele dieser Gebäude schlicht nicht mehr zu den realen Bedürfnissen.

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Beispiel Hirschwang

In Hirschwang an der Rax wird dieser Strukturwandel besonders greifbar. Die katholische Kirche dort wurde 1958 errichtet – zu einer Zeit, als der Ort florierte, als es Fabrikarbeit gab und über 1.000 Menschen in der Gegend lebten. Heute sind es nur noch rund 200. Die Papierfabrik, einst Arbeitgeber und Lebensader, hat zugesperrt. Auch das Sägewerk ist Geschichte. Die Kirche steht leer – mit Rissen in den Außenmauern, veralteter Elektrik und geschlossenen Türen.

"Kein einziger Mensch kam"

Einer, der sich lange gegen das Aus gestemmt hat, ist Romeo Reichel. Der heute 75-jährige Facharzt ist seit bald 18 Jahren ehrenamtlicher Diakon in Hirschwang. Er spricht offen über das, was ihn bewegt: "Kürzlich war ich eingeteilt, eine Wortgottesfeier zu halten, doch es kam kein einziger Mensch in unsere Kirche", sagt Reichel. Gemeinsam mit Pfarrer Heimo Sitter und einem Vikar hatte er versucht, das Gotteshaus am Leben zu erhalten – umsonst, denn auch die Wanderer, die früher regelmäßig zur Messe kamen, bleiben aus. "Das Gebäude ist renovierungsbedürftig, es rechnet sich für die Erzdiözese Wien nicht mehr zu investieren", fasst Reichel zusammen.

Schnäppchen mit Auflagen

Das gesamte Areal inklusive Pfarrhof soll rund 240.000 Euro kosten. Die Interessenten werden von der Erzdiözese eingeladen, über die Pfarre Edlach Besichtigungstermine zu koordinieren. Eine Bedingung gilt: Eine künftige Nutzung darf sich nicht gegen die Werte und Grundsätze der römisch-katholischen Kirche richten.

Was bleibt, ist der Eindruck einer Religion im Rückzug: Im Jahr 2023 traten in Österreich über 85.000 Personen aus der katholischen Kirche aus – nur geringfügig weniger als im Rekordjahr 2022. Demgegenüber stehen im selben Jahr nur etwa 4.500 Neu- oder Wiedereintritte. Auch die Zahl der Taufen ging zurück: Weniger als 39.500 waren es im Jahr 2023. Zahlen, die zeigen, dass sich nicht nur die Gesellschaft verändert hat, sondern auch die Rolle der Kirche darin.

Eine Frage des Geldes

In Wien-Rudolfsheim, wo Reichel einst in die Klosterschule ging, wurde bereits vor Jahren die monumentale Kirche Maria vom Siege an eine orthodoxe Gemeinde übergeben – zu einem symbolischen Betrag. Doch auch dort sind die Erhaltungskosten zu hoch, die Fassade bröckelt.

Die Erzdiözese Wien bemüht sich, wenn möglich, Kirchengebäude weiterhin am Leben zu halten. Doch das gelingt nur dort, wo eine aktive Gemeinde vorhanden ist, wo Menschen teilnehmen, feiern – und glauben. Wo das nicht mehr der Fall ist, bleibt oft nur ein Ausweg: Verkauf. Die Kirche, so zeigt sich, steht vielerorts nicht mehr so stark im Mittelpunkt des Lebens. Mancherorts wird daraus eine Immobilie mit Auflagen – geschichtsträchtig, aber säkular.

{title && {title} } agh, {title && {title} } Akt. 07.08.2025, 15:00, 07.08.2025, 05:00
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