In der glitzernden Welt der Popmusik brodelt es: Immer öfter wird behauptet, Frauen müssen doppelt so viel geben, um halb so ernst genommen zu werden, wie ihre männlichen Kollegen. Während Ed Sheeran im Hoodie mit Gitarre locker die größten Bühnen füllt, sieht das bei Kolleginnen wie Taylor Swift oder Beyoncé ganz anders aus. Für sie reicht kein Mikro und ein paar Akkorde – es braucht Spektakel, Kostümwechsel und ein Meer aus Tänzern, um als "groß" zu gelten.
Jüngstes Beispiel: Sabrina Carpenter und Chappell Roan. Beide sind seit Jahren im Business, beide liefern starke Songs, Talent und Ausstrahlung – doch erst, als sie ihre Auftritte in wahre Glamour-Shows verwandelten und sich sexy in Szene setzten, kam der Durchbruch. Zufall? Wohl kaum. Denn während Harry Styles oder Lewis Capaldi trotz Riesen-Hype bei ihren Konzerten eher minimalistisch bleiben, scheinen Frauen gezwungen, permanent "mehr" zu liefern – und zwar auf allen Ebenen.
Der Gender-Gap macht auch in der Musikbranche nicht halt. In den letzten Jahren hat sich da zwar viel verändert, ausgeglichen ist es aber noch lange nicht. Zum Beispiel waren zwischen 2013 und 2023 nur knapp 14 Prozent der Nominierten bei den Grammys, dem wichtigsten Musikpreis der Branche, weiblich. Auch beim heimischen "Amadeus Austrian Music Award" ist der Aufschrei jährlich laut, wenn auffällig wenig Frauen in den jeweiligen Kategorien vertreten sind.
Denn ein Blick nach Österreich zeigt ebenfalls: Das Phänomen ist international. Seiler & Speer oder Josh stehen im Jeanslook vor ausverkauften Hallen. Melissa Naschenweng dagegen muss für ähnliche Aufmerksamkeit auf Glitzer-Hotpants, Hollywood-Make-up und den großen Showeffekt setzen. Hits hat sie längst, trotzdem gilt: Ohne Inszenierung und Tamtam kein Platz an der Spitze. Im Schlager ganz ähnlich vergleicht man die Shows von Helene Fischer oder beispielsweise Roland Kaiser.
Für männliche Musiker wirkt der Weg zur Anerkennung oft deutlich einfacher. Von ihnen scheint weit weniger erwartet – auch inhaltlich. Sheeran kann sich mit seiner Gitarre hinstellen und gefühlvolle Herzschmerz-Songs singen, ohne dass jemand daran Anstoß nimmt.
Ganz anders bei Swift: Obwohl sie seit Jahren Welthits schreibt, muss sie sich ständig für ihre Texte rechtfertigen. Ihre Songs über Beziehungen werden als "Ex-Freunde-Ausbeutung" abgestempelt.
Die "Shake it Off"-Interpretin selbst hat über die unfairen Erwartungshaltungen zwischen Männern und Frauen in der Musikbranche gesprochen. 2019 wurde die Musikerin zur "Frau des Jahrzehnts" von Billboard gekürt, ihre Rede bewegte und traf einen Nerv: "Frauen in der Musikbranche dürfen sich nicht ausruhen", stellte sie fest. "An uns werden höhere, manchmal unerreichbar erscheinende Maßstäbe angelegt".
Megastar Dua Lipa spricht in ihrem Podcast mit Rapperin Megan Thee Stallion über die unterschiedlichen Erwartungen der Live-Auftritte. Jahrelang wurde sie für ihre Shows kritisiert, weil sie nicht gut genug getanzt hätte. Sie erklärt, warum sie den Eindruck hat, dass man als weibliche Performerin immer eine Show hinlegen müsse, während ein männlicher Artist "lediglich erscheinen und singen" müsse: "Ich glaube, wir sind daran gewöhnt, doppelt so hart arbeiten zu müssen, um ernst genommen zu werden."
Doch es scheint ein leichter Wandel stattzufinden: Gerade erst spielte Justin Timberlake in Wien im mäßig gefüllten Ernst-Happel-Stadion eines seiner Konzerte (wie "Heute" berichtet).
Seine Hits hat der ehemalige *NSYNC-Sänger nicht einmal ausgesungen – stattdessen hat er das Publikum animiert, die Lieder für ihn zu vervollständigen. Noch lustloser machte es seine Vorband Rapper Timbaland, der sogar eine komplette Playback-Show hinlegte und sich dafür groß feiern lassen wollte. Fans ließen daraufhin auf Social Media ihrem Frust freien Lauf und es folgte eine Reaktion. Auf den neuesten Konzerten steckt Timberlake 2 % mehr Aufwand in seine Shows, die Thematik rückte aber jetzt mehr in den Vordergrund.
Trotz des aktuellen Sexismus in der Branche, scheint sich die harte Arbeit immerhin auszuzahlen. Im Popgenre dominieren Frauen nämlich zurzeit die Streaming-Zahlen. Sie machten 69% des Streaminganteils aktueller Pop-Veröffentlichungen aus, was einen Anstieg von 11,7 Prozentpunkten gegenüber 2023 darstellt. In den Top 10 der Pop-Künstler des Jahres 2024 waren sieben Frauen vertreten, darunter Olivia Rodrigo oder Billie Eilish.