Psychologin erklärt

Warum dich Weihnachtshits tagelang nicht mehr loslassen

Hits wie "Jingle Bells" oder "Last Christmas" gehen uns jedes Jahr aufs Neue nicht aus dem Kopf. Eine Musikpsychologin erklärt, warum das so ist.
Heute Life
09.12.2025, 18:32
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben
Hör dir den Artikel an:
00:00 / 02:45
1X
BotTalk

Kennst du das, wenn du "Last Christmas" nur einmal im Einkaufszentrum hörst – und der Song sich dann den ganzen Tag in deinem Kopf eingenistet hat? Oder wenn dir Mariah Carey seit drei Stunden in Dauerschleife "All I Want For Christmas Is You" innerlich vorsingt? Damit bist du nicht allein.

Weihnachtssongs haben es in sich. Sie sind oft simpel aufgebaut, leicht zum Mitsingen und haben klare Refrains. Das macht sie zu perfekten Kandidaten fürs mentale Dauerschleifen-Radio. Irgendwann kippt es – und sie nerven einfach nur noch. Musikpsychologin Teresa Wenhart erklärt, wieso uns Weihnachtssongs einfach nicht kaltlassen.

So funktioniert dein inneres Karaoke

Was in deinem Kopf passiert, ist kein Zufall. "Ein Ohrwurm ist eine Melodie, die uns nicht mehr aus dem Kopf geht – selbst wenn wir sie nicht aktiv hören", so die Musikpsychologin.

"Ganz genau weiß man noch nicht, wie Ohrwürmer entstehen", sagt Wenhart. Laut ihr handelt es sich um den sogenannten "Aural-Oral-Loop". Eine Art Dauerschleife zwischen innerlichem Singen und innerlichem Hören, in der die Melodie gewissermaßen im Gehirn gefangen ist.

Dr. Teresa Wenhart ist Musikpsychologin, Neurowissenschaftlerin und Musikerin.
teresawenhart.com

"Dieser Kreislauf aktiviert sich automatisch – besonders bei Liedern, die wir gut kennen", so die Musikpsychologin.

Das Gehirn nutzt diesen Mechanismus auch für Alltagsdinge, etwa, wenn du dir deine Kreditkarten-PIN merken willst. "Beim Ohrwurm verselbstständigt sich dieser Kreislauf der neuronalen Erregung. Die Melodie läuft ohne bewusste Kontrolle ab", so Wenhart.

Ein Fall fürs Gedächtnis

Genau genommen zeigen Ohrwürmer, wie unwillkürliche Gedächtnisabrufung funktioniert – ein faszinierendes Phänomen, das verschiedene Gedächtnissysteme miteinander verknüpft. Die Psychologin unterscheidet:

Ultrakurzzeitgedächtnis (auch sensorisches Gedächtnis): speichert Sinneseindrücke für Sekundenbruchteile.

Kurzzeitgedächtnis: hält mit Willenskraft einige wenige Inhalte (etwa sieben bis neun) fest, etwa eine Telefonnummer.

Arbeitsgedächtnis: bearbeitet diese Inhalte aktiv, etwa wenn man die Nummer rückwärts aufsagt.

Langzeitgedächtnis: hier sind stabile Wissensbestände und biografische Erfahrungen abgespeichert.

Musik weckt Erinnerungen

Dass gerade Weihnachtsmusik so stark wirkt, liegt laut Wenhart auch an persönlichen Erinnerungen. "Diese Songs rufen biografische Erlebnisse ins Gedächtnis. Etwa Situationen, in denen wir früher diesen Song gehört haben, Erlebnisse mit anderen Menschen oder gar das Lebensgefühl einer bestimmten Zeit wie der Achtziger-Jahre", erklärt die Expertin.

Gerade Songs aus der Kindheit und Jugend wecken besonders starke Gefühle von Nostalgie. Fachleute sprechen vom "Reminiscence Bump": Erwachsene über 40 erinnern sich überdurchschnittlich oft und detailliert an Erlebnisse aus ihrer Jugend und dem frühen Erwachsenenalter. "Darum begleiten uns Melodien aus dieser Zeit besonders lang – sogar noch bei Menschen mit Demenz", erklärt die Psychologin.

Zwischen Nostalgie und Nervfaktor

Nicht alle empfinden Ohrwürmer gleich. Manche fühlen sich fröhlich und nostalgisch, andere gestresst. "Die Bewertung hängt weniger vom Lied, sondern eher von der emotionalen Verknüpfung ab", sagt die Psychologin.

Ohrwürmer sind häufig bereits von uns bekannte Melodien und gehören zum Langzeitgedächtnis – deshalb bleibt uns Last Christmas so hartnäckig im Kopf.
IMAGO/Pond5 Images

Doch warum nervt uns ein Song wie "Last Christmas" – und dennoch singen wir mit? "Auch Musik, die wir eigentlich nicht mögen, kann positive Emotionen auslösen – zum Beispiel durch Erinnerungen an vergangene Weihnachten", sagt die Musikpsychologin. Auch wenn dich "Last Christmas" nervt – dein Hirn verbindet den Song womöglich mit Weihnachtsgefühlen von früher.

Warum wir Weihnachtslieder trotz allem lieben

Egal, ob du mitsingst oder genervt abschaltest: Dein Gehirn liebt Vertrautes. In der Psychologie spricht man vom "Mere Exposure Effect": Je öfter du etwas hörst, desto mehr magst du es – auch wenn du es am Anfang nicht leiden konntest.

Der Effekt wird oft von der Musikindustrie genutzt, um die Beliebtheit neuer Songs durch häufige Wiederholung im Radio oder auf Streaming-Plattformen zu steigern.

Was du gegen Ohrwürmer tun kannst

➤ Kaugummi kauen: Die Bewegung des Kiefers verhindert innerliches Singen und unterbricht die Schleife.

Ein anderes Lied hören oder singen: Das kann einen neuen Ohrwurm auslösen und den alten verdrängen.

➤ Rätsel lösen: Besonders Worträtsel sind effektiv, weil sie Gehirnregionen beanspruchen, die auch für die Verarbeitung von Liedern genutzt werden.

Aufmerksam lesen: Ein spannender Text braucht Konzentration und kann so den Ohrwurm verdrängen, da das Gehirn mit dem Inhalt beschäftigt ist.

"Dazu hat Musik eine verbindende, soziale Funktion, wie Gute-Nacht-Lieder oder Festgesänge in vielen Kulturen", sagt Wenhart. Weihnachtslieder sind Teil kollektiver Rituale, die Sicherheit, Zugehörigkeit und Gemeinschaft vermitteln. Dazu gehören in der Weihnachtszeit auch Christkindlmärkte, bestimmtes Essen und bestimmte Filme.

"Auch sich gemeinsam über den 'nervigen' Ohrwurm 'Last Christmas' aufzuregen, schafft ein Gefühl von Zugehörigkeit", erklärt die Expertin.

{title && {title} } red, {title && {title} } 09.12.2025, 18:32
Jetzt E-Paper lesen