Christian Kern warnt alle:

"Kann sich jeder ausrechnen, wohin das führt"

Österreich fällt im Europavergleich immer weiter zurück – und Europa hinter die USA und China. Christian Kern mahnt: "Zukunft findet wo anders statt."
Newsdesk Heute
24.07.2025, 12:00
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Klarer kann eine Comeback-Absage kaum ausfallen: "Das interessiert mich wirklich nicht mehr", hält Christian Kern fest. Doch gänzlich abgeschlossen mit der Politik hat der frühere SPÖ-Chef und Bundeskanzler nicht. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der "Kleinen Zeitung teilt er heftig aus und spart nicht mit Kritik an der Schieflage Österreichs.

Zur wirtschaftlichen Lage: "In der Tat war die Performance der letzten fünf Jahre inferior, wir sind bei allen Parametern europäisches Schlusslicht." Das wiege umso schlimmer, weil auch Europa als Ganzes hinter den USA und China zurückfallen würden. "Wir sind akut abstiegsgefährdet. Zukunft findet woanders statt."

Der Rückstand auf die Vereinigten Staaten etwa ergebe sich aus der minderen Arbeitsproduktivität und weniger geleisteten Arbeitsstunden: "Hier gibt es gravierende Probleme, die man nicht beheben wird, wenn man sie nur in Watte packt und jede Veränderung verhindert." Während die Amerikaner auf Künstliche Intelligenz und digitale Plattformen setzen, sind die Chinesen in Sachen erneuerbarer Energie oder Elektromobilität vorgeprescht. Auch bei Halbleitern gebe es einen "kurzfristig nicht aufholbaren Rückstand" gegenüber Korea oder Taiwan.

"Jetzt braucht es nicht nur eine richtige Analyse unserer Lage, sondern konkretes Handeln", mahnt Kern. Doch die Aussichten sind düster: "Man hat das Gefühl, dass politisches Handwerk sich nur noch in Rhetorik erschöpft."

„Das Pensionseintrittsalter wird sich nicht aufrechterhalten lassen.“
Christian Kernzum Streit ums Pensionsalter

Zum Pensionsantrittsalter: "Wenn die Zahl der Arbeitsstunden langfristig stagniert, der Staat immer höhere Ausgaben stemmen muss und wir seit Jahren keine Produktivitätsfortschritte haben, kann sich jeder ausrechnen, wohin das führt. Diese unangenehmen Wahrheiten häufen sich: Niedriges Pensionseintrittsalter bei steigender Lebenserwartung, höchste Ausgaben von Bund und Ländern im Bereich Bildung und Gesundheit und dennoch höchste private Ausgaben für Wahlärzte und Nachhilfe..."

Für den Ex-Spitzenpolitiker und Top-Manager gibt es nur einen logischen Weg aus der aktuellen Krise: "Das Pensionseintrittsalter wird sich nicht aufrechterhalten lassen. Man wird um eine stufenweise Erhöhung auf Dauer nicht umhinkommen." Das müsse aber, so der Sozialdemokrat, mit "Augenmaß" umgesetzt werden: "Schon aus Respekt vor den Leuten und ihren Lebensverhältnissen. Mit Mindestrentnern wirst du nicht das Budget sanieren können."

„Veränderung aus Angst vor den Wählern zu verweigern, führt mittelfristig erst recht zum Frust der Menschen.“
Christian Kernzur Notwendigkeit von Reformen

Zu Staatsreformen: Um endlich effizienter zu werden, müsse sich der Staat einem wohl Jahre dauernden Reformprozess unterwerfen. Für die Umsetzung bräuchte es Mut, das Problem: "Viele wissen, was zu tun wäre, aber keiner weiß, wie man es tut und dann auch noch die nächste Wahl überlebt."

Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft – rechts wie links – gehe zulasten der Handlungsfähigkeit der Regierung, warnt Kern: "Weil einem derart unversöhnliche Lager gegenüberstehen, wagt man keine großen Sprünge, um nicht sofort auf Widerstand zu stoßen."

Den Kopf in den Sand zu stecken, sei jedoch erst Recht ein Rezept für den Untergang: "Veränderung aus Angst vor den Wählern zu verweigern, führt mittelfristig aber erst recht zum Frust der Menschen. Die lesen vielleicht keine soziologischen Abhandlungen, haben aber ein feines Gespür für das, was sich nimmer ausgeht."

„Zuletzt wurde viel Boden mit städtischer Identitätspolitik verloren.“
Christian Kernzur Lage der SPÖ

Zur Lage der Sozialdemokratie: Zur Umkehrung des anhaltenden Negativtrends der SPÖ bei den Wahlen, hat der frühere Parteichef kein Patentrezept anzubieten. Wohl aber eine Diagnose: "Es gibt europaweit einen Trend, dass progressive Parteien die Städte dominieren und ländliche Regionen nach rechts gehen. Je prononcierter man die Auseinandersetzung mit Grünen, NEOS und Kommunisten um die städtischen Stimmen führt, desto schneller wächst die Entfremdung zu traditionellen Wählern am Land. Da wurde zuletzt viel Boden mit städtischer Identitätspolitik verloren." Die Roten müssten deshalb wieder glaubhaft demonstrieren, dass sie Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen (können).

{title && {title} } red, {title && {title} } Akt. 24.07.2025, 13:55, 24.07.2025, 12:00
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