Nadine J. (Name geändert) lebt mit ihrer Familie, nördlich von Wien. Dort geht ihr Sohn in die erste Klasse einer Volksschule. Gewalt unter den Kindern ist dort laut J. alltäglich: "Blutige Nasen, Waffen aus Lego. Und die Lehrerinnen trinken Kaffee."
"In der Klasse wurden Stempelpässe für Betragen ausgegeben", erzählt Nadine J. und erklärt im nächsten Atemzug – sie ist dabei sehr aufgeregt – was es damit auf sich hat: "Ein grüner Stempel, wenn sich das Kind unauffällig benimmt, gelb oder rot, wenn das Kind auffällig geworden ist. Das ist die erste Klasse Volksschule! Wo gibt es denn sowas?"
J. habe an die zuständige Bildungsdirektion geschrieben, weil sie gehofft habe, dass sich dann etwas verbessert: "Dann wurden wir von der Direktorin der Schule kontaktiert." Nadine J. wird herb enttäuscht. Beim Gesprächstermin sieht sie sich plötzlich einem pädagogischen Triumvirat gegenüber: "Die Bildungsdirektion hat die Direktorin informiert, die sich wiederum mit der Klassenlehrerin abgesprochen hat", sagt J. zu "Heute". Es sei ein regelrechtes Kreuzverhör gewesen, bei dem ihr gesagt worden sei, dass ihr Kind "komisch" sei.
"Wir wurden als Eltern überhaupt nicht ernst genommen", setzt die junge Mutter nach. Neun von knapp über 20 Kindern in der Klasse ihres Sohnes haben wiederholt und würden sich langweilen und dann auch brutal werden.
"Heute" hat bei Direktorin der Volksschule nachgefragt und Folgendes erfahren: "Wenn wir Stempel vergeben, wollen wir positive Rückmeldungen geben. Das passiert immer im Einvernehmen mit den betreffenden Eltern."
Seit 9 Jahren arbeite sie als Leiterin einer von zwei öffentlichen Volksschulen in einer 14.000-Einwohner Stadtgemeinde. "Es ist ein schönes Arbeitsumfeld." Bei über 500 Eltern komme es schon einmal vor, dass auch jemand unzufrieden ist. Sie lade Eltern ein, sich jederzeit zu melden, denn es ginge darum, "an einem Strang zu ziehen."
Nadine J. sieht das anders: "Ein Freund meines Sohnes hat aus Lego ein Gewehr gebaut, um Stofftiere zu töten. Als mein Sohn das Gewehr kaputt gemacht hat, weil er Waffen ablehnt, gab es eine Verwarnung, statt den den Kindern zu erklären, dass Waffen hier nichts zu suchen haben."
Ein anderes Mal sei ihr Sohn gestoßen worden und mit Kinn und Nase auf ein Holzbrett gefallen. Ständige Verletzungen und Gewalt unter den Kindern seien an der Tagesordnung, besonders bei jenen, die durchgefallen seien. Die Lehrerinnen würden aber wegsehen.
"Bei uns schaut niemand weg", entgegnet die Direktorin. Gesetzlich sei sie angehalten, bei jedem größeren Vorkommnis einen Unfallbericht zu schreiben. "Durchfallen, wie die Frau behauptet, gibt es in der ersten Klasse gar nicht." Es stimme aber, dass Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen zum Teil nicht aufsteigen würden.
"Beurteilt wird nur, wer ausreichende Sprachkenntnisse aufweist, um in gleicher Weise dem Unterricht zu folgen", erklärt die Pädagogin und fügt an, dass bereits bei der Einschreibung das Sprachverständnis getestet werde. "Wenn das Sprachverständnis unzureichend ist, wird der 'Status Deutschförderklasse' vergeben", sagt die Direktorin: "Das ist kein Problem, sondern ein super Service."
Dann erklärt sie: "Diese Kinder bekommen zusätzlich 15 Stunden pro Woche Intensivtraining in kleiner Gruppengröße, bis sie sprachlich auf demselben Niveau sind. Dabei bleiben sie aber in ihrer jeweiligen Klasse." Auch wenn man bemüht sei, wären Eltern nicht immer mit allem einverstanden.
"Heute" wollte von der Bildungsdirektion wissen, ob der Ort als pädagogischer "Brennpunkt" gilt und bekam von Sprecherin Susanne Schiller, die Rückmeldung, dass ein "vermehrtes Beschwerdeaufkommen im Vergleich zu den letzten Jahren kann seitens der Bildungsdirektion nicht festgestellt werden" konnte. Auch beim Personal sieht Schiller, trotz stetigem Zuzug, keinen Mangel, da alle existierenden Planstellen besetzt seien.
"Das ist kein schwieriger Standort", sagt auch die Volksschuldirektorin. Sie kann die Vorwürfe von Nadine J. nicht verstehen, sagt aber, dass ihre Türe für J. jederzeit offen stehe. "Durchs Reden kommen d´Leut zam…", habe sie nicht umsonst als Motto auf der Schulhomepage stehen.