In der Kürze liegt offenbar die Würze. Wer angesichts der angespannten Lage bei Blau-Schwarz von nächtelangen Marathonsitzungen ausgeht, irrt gewaltig. Nach nur 40 Minuten Verhandlungen in der sogenannten Sechserrunde verabschiedeten sich Schwarz und Blau am Freitag in die Mittagspause. Man habe danach dann zwar noch andernorts weitergesprochen, betonen beide Seiten, doch schon kurz nach 14 Uhr war klar: Auf ins Wochenende. Weiter geht's erst am Montag.
Und das in jener Woche, in der ein heftiger Disput über Herbert Kickls Ministerien-Aufteilung ("Heute" berichtete ausführlich) ausgebrochen war und Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowohl den FPÖ-Klubchef als auch ÖVP-Obmann Christian Stocker zum Rapport geladen hatte. Die Koalitionsgespräche standen auf Messers Schneide, bis Kickl wissen ließ: "Es wird weiterverhandelt."
In dem laut FPÖ "fairen Angebot" bot Kickl der Volkspartei zwar ein Ressort mehr an, als er selbst führen wolle, Innen- und Finanzministerium sollen aber an die Freiheitlichen gehen (siehe Infokasten). Die Schwarzen gingen auf die Barrikaden, um dann Freitagnachmittag (zumindest teilweise) nachzugeben.
FPÖ: Bundeskanzler, Kanzleramtsminister (EU, Verfassung, Medien, Kultur, Deregulierung), Gesundheit/Sport, Soziales/Integration, Finanzen, Inneres
ÖVP: Vizekanzler, Äußeres, Frauen/Familie/Jugend, Landwirtschaft/Umwelt, Wirtschaft/Energie/Arbeit, Bildung/Wissenschaft/Forschung, Infrastruktur, Landesverteidigung
Unabhängig: Justiz, Staatssekretär im Innenministerium für Nachrichtendienst DSN
Wie von "Heute" berichtet, informierte Christian Stocker ÖVP-Ländergranden darüber, im Sinne eines Kompromisses auf das Finanzressort verzichten zu wollen. Nicht nachgeben wolle die Volkspartei bei Innenministerium und EU-Agenden, die vom Kanzleramt (wo sie seit der Ära Kneissl ressortieren) wieder ins Außenministerium wandern sollen.
Man hielte es "für ein Sicherheitsrisiko", würden die Blauen das Polizeiministerium samt der Nachrichtendienste leiten. Ausländische Partner würden die Zusammenarbeit einstellen und man könne geplante Terror-Akte wie jenen auf das Swift-Konzert dann nicht mehr vereiteln, so die Sorge. Die FPÖ wiederum will der ÖVP maximal einen Staatssekretär für die DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Anm.) zubilligen.
Und so wartet nun ein brutaler Fight um das Haus in der Herrengasse. Christian Stocker will es dem Vernehmen nach als ÖVP-Vizekanzler selbst führen; die FPÖ nicht nachgeben. Immerhin wird im Innenministerium der Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik maßgeblich bestimmt – ein Kernthema der FPÖ.
In einem langen Facebook-Posting untermauerte Kickl seine Haltung in dieser Frage. Seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sei es zu "ganz vielen Fehlern" gekommen: "Die FPÖ und ich, wir wollen einen Kurswechsel in der Sicherheitspolitik und beim Asylkurs."
Klingt nach dem nächsten Patt. Und aus der ÖVP ist zu hören: "Es gibt schon jetzt zwei Fraktionen – die, die der Meinung ist, dass man ohne Finanzministerium als Juniorpartner gar nicht in eine Regierung zu gehen braucht. Die andere Sichtweise ist, dass man aus Staatsräson der FPÖ nicht das sensible Sicherheitsministerium überlassen könne. Wenn Kickl aber auf beiden Ministerien beharrt, ist irgendwann mal 'Game over'."
Wurde der endgültige Bruch also lediglich vertagt? Offiziell heißt es aus der ÖVP: "Die Verhandlungen über eine ausgewogene Verteilung der Ressorts werden fortgesetzt, das nächste Gespräch findet Anfang kommender Woche statt." Das bedingt natürlich, dass bei Herbert Kickl überhaupt die Bereitschaft besteht, das vorgelegte Paket nochmals aufzuschnüren, was blaue Verhandler "ziemlich sicher ausschließen können".
Wegen des schwelenden Konflikts um Posten sind inhaltliche Knackpunkte noch völlig offen geblieben. Die Chefs müssen inhaltliche Brocken wie das Aus der ORF-Haushaltsabgabe, die Einführung eines Bankenbeitrags oder das von der FPÖ nun geforderte Ende der steuerlichen Absetzbarkeit der Kirchensteuer und von Spenden diskutieren. Letzteres wird als nächste Provokation der Blauen gewertet, begehren diese darüber hinaus nämlich ausgerechnet im Jahr der Wirtschaftskammerwahl einen Solidarbeitrag der Arbeiter- und Wirtschaftskammer zur Budgetkonsolidierung.
Ausständig ist auch eine Lösung in der Frage der Corona-Aufarbeitung. Ein hochrangiger Schwarzer ärgert sich über das geringe Verhandlungspensum der Blauen: "Mit Kickl sitzt man eine dreiviertel Stunde zusammen, dann ist wieder drei Tage lang Pause. Das kenne ich aus früheren Regierungsbildungen ganz anders – wie soll man so zeitnah zusammenkommen? Es wirkt fast so, als würde Kickl gar keine Einigung anstreben."
Über den Fortgang der Gespräche lässt sich jedenfalls Bundespräsident Alexander Van der Bellen regelmäßig in Kenntnis setzen. Er ließ sich zu keiner Prognose hinreißen: "Wir werden sehen", sagte er am Freitag. Deutlichere Worte fand Burgenlands eben wiedergewählter SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Er schüttelte nur den Kopf: "Es ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten, was da abläuft."