Die großen ORF-Sommergespräche starten heuer mit gleich zwei Premieren. Als Gastgeber debütiert Ö1-Interviewer Klaus Webhofer. Und: Erstmals wird zum Abschluss (als Vertreter der stimmenstärksten Partei) nicht der Kanzler, sondern FPÖ-Chef Herbert Kickl Platz nehmen.
Erstmals seit vielen Jahren machen außerdem die Grünen als nunmehr kleinste Fraktion den Anfang. Und so wurde der vormaligen Klimaschutzministerin und aktuellen Parteisprecherin Leonore Gewessler diese Ehre zuteil.
Der Jobwechsel sei natürlich eine Veränderung gewesen. "Es war ein Privileg, da dabei sein zu dürfen." Das werde ihr besonders dann klar, wenn im Bus oder Zug Menschen um sie herum bei der Kontrolle das Klimaticket zücken. Mehr Tagesfreizeit habe sie jetzt jedenfalls trotzdem nicht. "Die Aufgabe ist groß, die Herausforderungen sind groß."
Als Ministerin habe sie schwierige Entscheidungen treffen müssen, doch die habe sie auch jetzt als Parteichefin. "Wir haben die wichtige Aufgabe, darauf hinzuweisen, wenn was in die falsche Richtung geht."
Aus der Regierung geflogen seien die Grünen nach der Wahl nicht wegen ihres Alleingangs beim Renaturierungsgesetz – "das ist ein Gerücht" –, sondern weil die ÖVP sich überlegt habe, mit wem sie ihr Programm am leichtesten durchkriegen wird. "Das würde ich heute noch einmal so machen."
Aktuell verbringe sie viel Zeit mit zuhören. Vorurteile der eigenen Partei gegenüber sollen aus dem Weg geräumt, Ängste in grüne Politik umgesetzt werden. "Das habe ich mir für die nächsten Jahre vorgenommen." Von ihr werde man in Zukunft deshalb viel zu anderen Themen hören.
Einer dieser Punkte sei die Teilzeitdebatte. Der Wirtschaftsminister richte Frauen aus, dass sie zu faul für Vollzeit seien. Stattdessen brauche es 50.000 mehr Kinderbetreuungsplätze und einen Rechtsanspruch ab dem 1. Geburtstag.
Zu den aktuellen Wirtschaftsproblemen hatte die letzte Regierung keinen unwesentlichen Anteil, in der Kritik stehen vor allem die hohen Förderungen. "Wir haben uns dazu entschieden, die Kaufkraft zu stützen. Das war auch ein Weg, den viele Experten empfohlen haben." Rückblickend hätte es Instrumente wie die Mietpreisbremse früher gebraucht. "Das war alles keine einfache Situation."
"Natürlich braucht es auch Kontrollen an den Außengrenzen. Wir müssen wissen, wer kommt", sagt sie auf die Migrationsprobleme angesprochen. Wenn es aus den Schulen Kinder herauskommen, die nicht richtig Deutsch können, "müssen alle Alarmglocken läuten". Es brauche mehr Unterstützung an den Schulen, etwa Deutschförderkräfte und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr.
Statt den Familiennachzug auszusetzen, müsse die Regierung woanders hinschauen, etwa nach Ungarn. Viktor Orbán als "europäischer Pseudo-Trump" lasse gerade ungehindert Schlepper frei, kontrolliere nichts und niemanden.
Für das Elektrizitätswirtschaftsgesetz braucht es die Zustimmung von Grünen oder FPÖ. Gewessler fordert hier einen "nationalen Schulterschluss" für günstige Energie ein. "Extrem kritisch" stehen die Grünen auch der geplanten Messengerüberwachung gegenüber. Justizsprecherin Alma Zadić werde sich das noch genau anschauen, ein Gang vor den VfGH wird erwogen.
Zum Nahostkonflikt sagt Gewessler: "Israel hat natürlich das Recht, sich selbst zu verteidigen, aber auch eine humane Verantwortung." Die Lage in Gaza sei "untragbar". Auch die israelischen Geiseln müssten aber sofort freikommen.
"Wir alle wünschen uns Frieden." Doch die weltweite Lage hat sich geändert. Auch Österreich müsse sich deswegen verteidigen können. "Wir sind in einer anderen Welt als vor 40 Jahren. Frieden muss verteidigt werden." Es breche ihr das Herz, wenn 20-jährige Burschen von der Angst reden, vielleicht in den Krieg ziehen zu müssen.