Nach dem Ende der Regierungsbeteiligung der Grünen übernahm Leonore Gewessler das Ruder der Partei von Werner Kogler. Für sie war es kein leichter Start, denn neben der neuen Rolle in der Opposition musste sie auch zusehen, wie ÖVP, SPÖ und Neos grüne Herzensprojekte vorwiegend beim Klimaschutz entweder deutlich zurückfuhren oder gar einstampften. Seitdem schienen aber die Sympathie-Werte der neuen Grünen-Chefin kontinuierlich zu steigen – und sie erarbeitete sich eine Rolle als politische Mahnerin.
Das zeigte sich auch nach dem jüngsten Beschluss zum Elektrizitätswirtschaftsgesetz. Gewessler hatte umgehend davor warnt, schon von automatisch sinkenden Stromrechnungen zu sprechen: Der Beschluss allein werde die Strompreise nicht verringern, und es fehle weiterhin an konkreten Maßnahmen der Regierung, etwa zum Umgang mit Übergewinnen der Landesenergieversorger oder einem Netzinfrastruktur-Fonds. Sie kritisierte die Kommunikation der Bundesregierung und forderte weitere Schritte, um Energiepreise tatsächlich zu senken.
Wie Gewessler ihre Oppositionsrolle ausbauen will, verriet die Politikerin am späten Donnerstagabend in der "ZIB2" bei ORF-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann. "Wir sehen jetzt, die neue Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und Neos ist sich vor allem in einem einig. Nämlich, wenn es gegen den Klimaschutz geht, wenn es ums Zubetonieren eines Naturschutzgebiets geht, oder beim Abbau von hart erworbenen sozialen Rechten", so Gewesslers Abrechnung. Umso wichtiger sei, "dass es die Grünen gibt".
Die Grünen seien jetzt "eine Partei, die zuhört und diese Anliegen stark vertritt", so die Politikerin. Dabei sei es egal, ob es gerade Gegenwind oder Rückenwind für die Partei gebe. "Ich möchte, dass die Menschen in diesem Land wissen, auch da stehen die Grünen an ihrer Seite", so Gewessler dazu, dass aktuell nicht der Klimaschutz, sondern Arbeitsplatzsicherheit, Teuerung und Ukraine-Krieg die Bürger in Österreich stärker beschäftigen würden. "Auch wenn es darum geht, wie kann ich mir meine Stromrechnung leisten."
"Bundes- wie Landesregierung kürzt herzlos auf dem Rücken derer, die es ohnehin schon schwer haben", so Gewessler. In Salzburg etwa ginge Pflegepersonal bereits auf die Straße, "das sind die Menschen, die für unsere Liebsten, für unsere Omas und Opas, wenn es ihnen schlecht geht und sie Pflege benötigen, sich abrackern". Gewessler wolle "dass auch diese Menschen wissen, die Grünen stehen an ihrer Seite und sie können sich auf uns verlassen, wenn es darum geht, gegen diesen Kahlschlag bei den sozialen Rechten und dieses Kürzen auf dem Rücken der Schwächsten einzutreten".
Gewessler habe einen Brief an alle Landeshauptleute geschrieben und Weihnachten sei "eine Zeit der Umkehr", hieß es. Wenn man sich christliche Nächstenliebe oder Solidarität auf die Fahnen hefte, "dann heißt das auch, man muss die Glaubwürdigkeit auch haben", so Gewessler. Heißt: Alle Landeshauptleute sollen "dieses Kürzungsprogramm zurücknehmen". Das erwarte sie von Wien bis Salzburg, so die Grünen-Chefin. Ja, es müsse gespart werden, so Gewessler, sie kritisiere aber nicht, dass das Budget konsolidiert werde, sondern wie das geschehe.
Die Regierung habe statt anderer Maßnahmen "das soziale Drittel" der kalten Progression, das dazu da sei, "die Ärmsten der Gesellschaft zu unterstützen", "das hat sie gestrichen". Es sei "niemandem in diesem Land zu erklären, warum wir Milliarden für die Autobahnen haben, warum die breiten Schultern weit und breit nicht zu sehen sind". Dass es dabei auch Schulden-Fehler in der Grünen-Regierungsbeteiligung gegeben habe, umschiffte die Politikerin: Man habe "in Zeiten großer Krisen" regiert und "Entscheidungen treffen müssen".
"Unbedingt" müsse man sich auch Sorgen um die Menschen in der Automobilbranche machen, so die Grünen-Chefin, es sei "genau die falsche Entscheidung" gewesen, dass man das Verbrenner-Aus aufgeweicht habe. Wer die Menschen frage, ob sie lieber "die dreckigsten Autos bauen" wollen oder aber die effizientesten, saubersten, "ich bin mir sicher, deren Antwort ist sehr eindeutig". China überhole Europas Autoindustrie bereits: "Die fahren uns nieder mit diesen E-Autos."