Der Arbeitsplatz vom Biologen und Spinnenforscher Christian Komposch ist das Hochgebirge. Im kargen Gestein rund um die Pasterze, dem größten Gletscher Österreichs am Fuße vom Großglockner, sucht er gemeinsam mit Antonia Körner nach Spinnentieren.
"Es ist eine riesengroße körperliche Herausforderung für uns. Wir gehen wirklich an die Grenze dessen, was machbar ist. Wir steigen in die Felswände hinein, um die Tiere zu finden. Aber natürlich ist da eine unglaubliche Leidenschaft dabei." Komposch untersucht dort, wo kaum jemand Leben vermuten würde, Lebewesen, die sich perfekt an die rauen Bedingungen oberhalb der Baumgrenze angepasst haben: die Gletscherweberknechte.
Die Tiere sind meist in der Dämmerung und nachts aktiv und suchen ihre Nahrung auch direkt auf der Pasterze. Obwohl sie, wie alle Weberknechte, zwei Augen haben, sehen sie nicht besonders gut. Ihr zweites Laufbein ist stark verlängert – damit tasten sie die Umgebung nach Fressbarem ab. "Er grast damit quasi die Eis- und Schneeflächen ab und frisst Spinnen, Käfer und Kleintiere. Danach zieht er sich zurück in die Felslebensräume," so Komposch.
Die Landschaft rund um die Pasterze erinnert an die Bedingungen nach der letzten Eiszeit. Heute findet man Gletscherweberknechte nur noch dort, wo sich die Gletscher zurückgezogen haben – also hier rund um die Pasterze, bis weit über 3.000 Meter den Hang hinauf.
Der Gletscherweberknecht ist ein echter Alpenbewohner – weltweit gibt es ihn nur hier. Als Überbleibsel aus der Eiszeit ist er auf die höchsten Lagen beschränkt, weil er nur dort das feucht-kühle Mikroklima findet, das er braucht.
"Sein potenzieller Lebensraum ist somit sehr überschaubar. Es wäre unglaublich spannend zu erforschen, wie hoch die Tiere hier tatsächlich steigen, wenn sie müssen. Erreichen sie den Gipfel des Großglockners? Die höchstgelegenen, bisher bekannten Funde aus Österreich stammen aus 3.457 Metern Seehöhe, aus der Schweiz liegen Nachweise aus vermutlich mehr als 3.600 Metern vor", so Komposch.
Biologen fordern dringend ein besseres Monitoring der aktuellen Vorkommen des Gletscherweberknechts – ähnlich wie es im Nationalpark Hohe Tauern, für den Steinbock, die Gams und den Bartgeier gemacht wird. Für Spinnentiere und Insekten war es bisher schwierig, Forschungsgelder zu bekommen. Dabei wären gerade Kleintiere ausgezeichnete Bioindikatoren, die Veränderungen in der Landschaft oft schneller und genauer anzeigen als Messgeräte oder Tiere wie Vögel und Säugetiere, die sich leicht fortbewegen können.
Immerhin gibt es schon einige Daten: Der Salzburger Naturforscher und Naturfilmer Albert Ausobsky hat bereits in den 1960er Jahren Verbreitungsdaten zu Weberknechten gesammelt. Entlang der Großglockner-Hochalpenstraße wurden einige Fundstellen erneut besucht und kartiert. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Populationsdichte des Gletscherweberknechts in den tieferen Lagen unterhalb von 2.500 Metern Seehöhe stark zurückgegangen ist. Es gibt bereits lokale Aussterbeprozesse, und andere Weberknecht-Arten rücken vom Talboden nach.
Dazu kommt, dass der Lebensraum der Gletscherweberknechte im Großglocknergebiet immer kleiner wird: Die Pasterze schmilzt, im Sommer bis zu einem Meter in nur einer Woche. Das hochspezialisierte Spinnentier kann aber nicht in andere Lebensräume ausweichen.
„Er steht bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten Österreichs und wir hoffen, dass er im Glocknergebiet noch diese Refugialräume findet, wo er dann doch noch zumindest einige Jahrzehnte überdauern kann“
Komposch ist besonders fasziniert davon, wie der Gletscherweberknecht in dieser lebensfeindlichen Umgebung überhaupt überleben kann. Die Anpassung ist erstaunlich: Das Tier produziert tatsächlich eine Substanz, die Glykol ähnelt und in den Zellen gespeichert wird.
Dieses selbst produzierte Frostschutzmittel verhindert, dass die Zellen durchfrieren und platzen – was bei anderen Wirbeltieren tödlich wäre. "Es ist nachgewiesen, dass ausgewachsene Tiere Minus 20 Grad problemlos ertragen können. Sie können auch im Eis und Schnee einfrieren und einfach weiterlaufen, sobald sie wieder aufgetaut sind", erklärt der Biologe.