Das Gerücht, dass Stadttauben einfach wilde Vögel sind, die sich gerne über unseren Autos und Balkongeländer lösen, hält sich nach wie vor wacker. In der Stadt Salzburg kämpfen die zu Unrecht betitelten "Ratten der Lüfte" sogar gegen ihren qualvollen Tod, weil nichts unternommen werden darf, um die Tiere zu ernähren und sie langsam in den Straßenecken verhungern. In Wien gibt es zwar kein Fütterungsverbot, aber die ehemaligen Haustiere leiden trotzdem immer öfter unter Mangelerscheinungen.
Gewusst?
Laut dem Wildtierservice Wien leben ungefähr 50.000 Tauben in Wien.
Der Österreichische Tierschutzverein erklärt das vielseitige Tauben-Problem anhand der Pflegetaube "Archimedes", die ihren Lebensabend flugunfähig im Assisi-Hof in Stockerau verbringen darf.
Traurig, aber wahr – es gibt keine wilden Tauben in den Städten. Alle unsere Stadttauben stammen ursprünglich von Brief-, Sport- oder Hochzeitstauben ab, die verwahrlost in der Nähe der Menschen um ihr Überleben kämpfen.
„Anstatt hochwertiger Körner und Samen finden Stadttauben oft nur minderwertige Nahrung wie Brot – das kann zu Durchfall führen – oder Essensreste. Diese Nahrung enthält nicht die notwendigen Vitamine, Mineralstoffe und Eiweiße“Alfred KoflerTierexperte, Assisi-Hof, Stockerau
Die Nachfahren der Felsentaube nutzen als Nistplätze meist Mauernischen, Dachböden, Lichthöfe und Gebäudefassaden. Orte, die den natürlichen Lebensräumen ihrer Vorfahren entsprechen und oftmals den Besitzern ein Dorn im Auge sind. Wir vergessen nur leider gerne, dass die Taube uns jahrhundertelang als Fleisch- und Eierlieferant, sowie als Postbote und Düngerproduzent gedient hat und schon alleine deshalb unseren Dank und Respekt verdient.
Der Orientierungssinn der Taube ist einzigartig im Tierreich. Sie nutzen das Erdmagnetfeld und auch markante Gebäude in ihrem Gedächtnis zur Navigation.
Da Stadttauben rechtlich nicht als Wildvögel gelten, dürfen sie weder gejagt noch getötet werden. Der Österreichische Tierschutzverein appelliert: "Statt Ablehnung und falscher Fütterung brauchen die Vögel betreute Taubenschläge, verantwortungsvolle Pflege und Verständnis. Viele Vögel hungern, erkranken und leiden an Mangelerscheinungen. Die weißen Flecken, die auf Plätzen oft zu sehen sind, sind die Folge von dünnflüssigem Kot", so Kofler.
Es gibt heutzutage nur noch wenige Taubenzüchter, doch noch kann man welche finden. "Archimedes" wurde eigentlich als Sporttaube gezüchtet und stürzte nach einer 700 Kilometer Reise aus dem deutschen Fulda, in der Nähe von Wien völlig erschöpft ab. Nachdem der verletzte Vogel zum Glück zum Assisi-Hof gebracht wurde, konnte dank des Fußrings schnell der Halter ermittelt werden.
Da er allerdings wegen einer Splitterfraktur nie wieder fliegen kann, wurde er für den Züchter aus Deutschland wertlos und er wollte ihn nicht mehr zurück. Jetzt lebt er gemeinsam mit Meerschweinchen und Kaninchen zusammen und darf sein gesamtes Leben bei gutem Essen und liebevoller Betreuung verbringen.
Das Pilotprojekt "Betreuter Taubenschlag" am Wiener Hauptbahnhof bietet artgerechtes Futter, Nistplätze und medizinische Versorgung. Durch Eiaustausch (Taubeneier gegen Eier aus Gips) wird die Population reguliert – ein Beispiel, dass Tierwohl und Stadthygiene zu vereinbaren sind.
Für das Tauben-Problem braucht es ein strukturiertes Management mit tierfreundlicher Lösung. Der Österreichische Tierschutzverein fordert daher betreute Taubenschläge, artgerechte Fütterung und mehr Wissen und Verständnis für diese verwilderten Haustiere.
Der Wildtierservice Wien betont im Zusammenhang mit seinem erfolgreichen Pilotprojekt: Ein gesunder, stabiler Taubenbestand ist nicht nur für diese Tiere wichtig, sondern auch ein Beitrag zur städtischen Biodiversität, da die Vögel Körner und Samen verbreiten.