Als "Lost Soul Aside" 2016 erstmals im Netz auftauchte, sorgte das Action-Rollenspiel mit seinem spektakulären Trailer für ungläubiges Staunen. Kaum jemand konnte glauben, dass ein einzelner Entwickler ein Spiel dieser grafischen Qualität erschaffen hatte. In den Folgejahren wuchs das Projekt zu einem Team heran, das unter dem Dach von Sony weiterarbeitete und die Erwartungen ins Unermessliche trieb. Nun ist das Abenteuer endlich für die PlayStation 5 und auf Steam für den PC erschienen – und die Frage ist, ob es die lange Wartezeit rechtfertigt. Die Antwort ist nicht einfach. "Lost Soul Aside" bewegt sich irgendwo zwischen bombastischer Technik-Demonstration und ambitioniertem Rollenspiel.
Es gibt Momente, die einem den Atem rauben, aber auch Passagen, die sich unausgegoren oder repetitiv anfühlen. Der Titel schwankt zwischen Meisterwerk und Rohdiamant, und genau das macht den Test so spannend. Im Zentrum der Handlung steht Kazer, ein junger Schwertkämpfer, der in einer von Kriegen und mysteriösen Energien gezeichneten Welt lebt. Sein Schicksal verknüpft sich mit einem geheimnisvollen Wesen namens Arena, das sich in sein Schwert einnistet und ihm fortan als Begleiter dient. Diese ungewöhnliche Partnerschaft bildet den Kern der Erzählung.
Die Geschichte selbst ist klassisch angelegt: ein Held wider Willen, eine finstere Bedrohung, Intrigen im Hintergrund und eine Welt, die zwischen Zerstörung und Hoffnung schwankt. Doch die Erzählweise überrascht immer wieder mit philosophischen Untertönen. Arena und Kazer führen Dialoge, die mehr sind als reine Expositionshilfen – sie beleuchten moralische Fragen über Macht, Verantwortung und Opferbereitschaft. Allerdings muss man klar sagen, dass die Narrative nicht immer die Tiefe erreicht, die das Spiel anstrebt. Manche Charaktere bleiben blass, Nebenfiguren verschwinden zu schnell aus dem Fokus, und die Story folgt häufig bekannten Mustern japanischer Action-RPGs.
Trotzdem schafft es "Lost Soul Aside", durch seine dichte Inszenierung und das Zusammenspiel zwischen Protagonist und Begleiter eine emotionale Bindung zu erzeugen. Technisch ist "Lost Soul Aside" ein echtes Schwergewicht. Schon in den ersten Minuten beeindruckt die Detailfülle der Umgebungen. Die Entwickler nutzen die Power der PlayStation 5 konsequent aus: Weite Landschaften, die ohne sichtbare Ladezeiten ineinander übergehen, komplexe Texturen und dynamische Beleuchtung, die in Kämpfen regelrecht explodiert. Besonders beeindruckend sind die Partikeleffekte. Jede Schwertbewegung erzeugt Funkenregen, jede Magieattacke füllt den Bildschirm mit Farben und Energieblitzen. Die Bildrate bleibt dabei stabil, auch wenn der Bildschirm von Gegnern und Effekten überflutet wird.
Im Performance-Modus läuft das Spiel konstant mit 60 Bildern pro Sekunde, während der Qualitätsmodus eine noch höhere Auflösung und feinere Details bietet. Die Charaktermodelle wirken lebendig und ausdrucksstark, auch wenn sie nicht ganz die Perfektion eines "Final Fantasy XVI" erreichen. Kleine Schwächen bei der Gesichtsanimation sind erkennbar, fallen aber kaum ins Gewicht, wenn das Kampfsystem auf Hochtouren läuft. Die Musik verdient besondere Erwähnung. Komponist Xie Ziqiang verbindet orchestrale Klänge mit elektronischen Elementen, wodurch ein dynamischer Soundtrack entsteht, der die Action perfekt untermalt. Besonders die Bosskämpfe profitieren von epischen Kompositionen.
Auch die Synchronisation überzeugt, wenngleich die englische Fassung gelegentlich schwankt. Manche Sprecher wirken etwas überzogen, andere wiederum verleihen den Figuren eine glaubhafte Tiefe. Die Originalsprache (Chinesisch) transportiert Emotionen authentischer, weshalb viele Spieler diese Version bevorzugen dürften. Die Soundeffekte selbst sind wuchtig und präzise – jeder Schwerthieb hallt mit Druck, jede Explosion klingt satt. Der größte Trumpf von "Lost Soul Aside" ist zweifellos das Kampfsystem. Es kombiniert blitzschnelle Hack-and-Slash-Elemente à la "Devil May Cry" ("DMC") mit taktischen Ausweich- und Kontermechaniken, die an "Sekiro" oder "Final Fantasy XV" erinnern. Kazer bewegt sich agil durch die Arenen, weicht mit Sprüngen Angriffen aus und verknüpft Schwerthiebe mit magischen Attacken.
Besonders das Zusammenspiel mit Arena eröffnet taktische Möglichkeiten: Das Wesen kann sich in verschiedene Waffenformen verwandeln, wodurch man vom Katana zu einer Lanze, einem Großschwert oder sogar Projektilangriffen wechseln kann. Die Steuerung reagiert präzise, und Kombos lassen sich flüssig aneinanderreihen. Wer die Mechanik meistert, fühlt sich nach wenigen Stunden wie ein wahrer Schwertmeister, der Gegner mit kunstvollen Bewegungen zerschneidet. Die Highlights sind klar die Bosskämpfe. Jeder Boss ist einzigartig gestaltet und erfordert ein Umdenken. Manche Kämpfe setzen auf Aggression und Tempo, andere auf Geduld und das richtige Timing.
Beeindruckend sind die gigantischen Kreaturen, die teils den halben Bildschirm füllen. Hier zeigen sich dramatische Kamerafahrten, abgestimmte Musik und ein Schwierigkeitsgrad, der fordert, aber selten unfair wirkt. Dennoch gibt es Momente, in denen die Balance nicht ganz passt. Manche Bosse sind deutlich einfacher als reguläre Elitegegner, was zu merkwürdigen Schwankungen im Anspruch führt. Doch diese Ausreißer bleiben die Ausnahme. "Lost Soul Aside" ist übrigens kein reines Actionspiel. Das Rollenspiel-Element kommt in Form von Charakterentwicklung, Ausrüstungsupgrades und Fertigkeitspunkten zum Tragen. Kazer kann seine Waffenfähigkeiten anpassen, neue Kombos freischalten und Arena in unterschiedlichen Formen weiterentwickeln. Allerdings bleibt die Rollenspieltiefe begrenzt.
Wer komplexe Skillbäume oder tiefgreifende Charakterentwicklung wie in einem "Tales of Arise" erwartet, könnte enttäuscht sein. Das System ist eher darauf ausgelegt, die Action zu unterstützen, anstatt eigenständig im Vordergrund zu stehen. Die Spielwelt von "Lost Soul Aside" ist halb-offen gestaltet. Es gibt weitläufige Gebiete, die man frei erkunden kann, doch auch lineare Passagen, die wie Korridore wirken. Dieses Wechselspiel sorgt für Abwechslung, doch nicht alle Abschnitte sind gleich spannend. Besonders gelungen sind die weitläufigen Ebenen und Städte, die eine dichte Atmosphäre transportieren. Weniger gelungen sind enge Höhlen oder generische Dungeons, die sich nach einiger Zeit wiederholen.
Hier spürt man, dass die Entwickler den Fokus klar auf Kämpfe und Inszenierung gelegt haben, während die Erkundung manchmal wie ein Nebengedanke wirkt. Einer der größten Kritikpunkte ist das Pacing. Manche Kapitel ziehen sich in die Länge, während andere viel zu schnell vorbeigehen. Besonders in der Mitte des Spiels gibt es Abschnitte, die mit belanglosen Kämpfen und repetitiven Aufgaben gestreckt wirken. Diese Unebenheiten bremsen den Spielfluss und verhindern, dass "Lost Soul Aside" durchgehend auf höchstem Niveau glänzt. Es ist kein Spiel, das man am Stück verschlingen möchte – vielmehr funktioniert es am besten in Etappen. Auf der PlayStation 5 läuft das Spiel indes stabil, Bugs oder Abstürze sind selten. Allerdings gibt es gelegentlich Clipping-Fehler, wenn Gegner in Wände ragen oder Animationen nicht sauber ineinandergreifen.
Die Ladezeiten sind dank der SSD kaum spürbar. Selbst nach einem Bildschirmtod kehrt man blitzschnell zurück ins Spiel. Dieses technische Fundament sorgt dafür, dass man immer im Geschehen bleibt und kaum aus der Immersion gerissen wird. Unweigerlich drängt sich der Vergleich mit Titeln wie "Devil May Cry", "Final Fantasy XVI" oder "Bayonetta" auf. "Lost Soul Aside" erreicht nicht ganz die narrative Tiefe oder den Feinschliff dieser Produktionen, kann aber in puncto Kampfsystem durchaus mithalten. Manche Mechaniken fühlen sich sogar frischer und dynamischer an als in den etablierten Serien.
Gleichzeitig zeigt sich, dass das Spiel an einigen Stellen hinter seinen Vorbildern zurückbleibt. Es fehlt die Stringenz eines "Devil May Cry 5", die dramaturgische Dichte eines "Final Fantasy XVI" oder die kreative Exzentrik eines "Bayonetta". "Lost Soul Aside" ist eher ein Hybrid, der viele Einflüsse aufgreift, aber noch keine ganz eigene Handschrift entwickelt. Die Hauptkampagne dauert je nach Spielstil zwischen 20 und 30 Stunden. Wer alle Nebenaufgaben und versteckten Bosse erledigt, kann bis zu 40 Stunden investieren. Der Wiederspielwert ist solide, aber nicht überragend. Zwar gibt es unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und optionale Herausforderungen, doch die Geschichte verläuft linear, ohne alternative Enden oder große Entscheidungsmöglichkeiten.
Dennoch motiviert das Kampfsystem, bestimmte Kämpfe noch einmal zu bestreiten, um die eigenen Fähigkeiten zu perfektionieren. "Lost Soul Aside" ist ein Spiel, das aus Leidenschaft geboren wurde – und das merkt man in jeder Sekunde. Es ist spektakulär, dynamisch und visuell überwältigend. Das Kampfsystem zählt zu den besten seiner Art, und die Präsentation kann sich mit den ganz großen Produktionen messen.
Doch es gibt auch klare Schwächen: Das Pacing ist unausgeglichen, manche Levelabschnitte wirken uninspiriert, und die Story bleibt trotz starker Momente hinter ihren Möglichkeiten zurück. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, erlebt ein Abenteuer, das eindrucksvoll zeigt, was aus einer mutigen Vision entstehen kann. Für Fans von Action-Rollenspielen ist "Lost Soul Aside" auf der PlayStation 5 definitiv ein Pflichtkauf – nicht perfekt, aber einzigartig genug, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.