Die Europäische Weltraumagentur ESA zelebriert den Start ihres modernsten Forschungssatelliten "Biomass". Am 29. April um 11.15 Uhr MESZ wurde er an Bord einer Vega-C-Rakete vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana ins All katapultiert. Etwas mehr als eine Stunde später sendete der künstliche Erdtrabant sein erstes Lebenszeichen.
In den kommenden Tagen wird er unter laufenden Systemchecks an seine vorgesehene Umlaufbahn in 666 Kilometern Höhe gesteuert. Dabei wird auch in einem komplizierten Origami-Manöver das wichtigste Messinstrument entfaltet. Es handelt sich dabei um einen riesigen Maschenreflektor (siehe Bild oben) mit Durchmesser von zwölf Metern, der am Ende eines 7,5 Meter langen Auslegers sitzt.
Sobald diese Phase abgeschlossen ist, wird Biomass mit seiner "bahnbrechenden Mission" beginnen können, jubelt die ESA. Die Wissenschaftler versprechen sich davon entscheidende Informationen über den Zustand unserer Wälder und deren Veränderung. "Mit Biomass sind wir in der Lage, wichtige neue Daten darüber zu gewinnen, wie viel CO₂ in den Wäldern der Welt gespeichert ist. Damit können wir wesentliche Lücken in unserem Wissen über den Kohlenstoffkreislauf und letztlich das Klimasystem der Erde schließen", erklärt die ESA-Direktorin für Erdbeobachtungsprogramme Simonetta Cheli.
Dafür hat Biomass ein Radar mit synthetischer Apertur (SAR) an Bord, das im P-Frequenzband arbeitet. Dieses ist besonders geeignet für die Erfassung von Ästen und Baumstämmen. Dazu durchdringt es mit einer Wellenlänge von knapp 70 cm das Blätterdach bis zum Boden. Durch die Analyse der Reflektionen kann das Volumen der holzigen Biomasse des weltweiten Waldbestandes ermittelt werden.
Das ist für die Klimaforschung elementar, denn Wälder spielen eine wichtige Rolle im Kohlenstoffkreislauf der Erde. Diese "grüne Lunge" unseres Planeten nimmt jährlich etwa acht Milliarden Tonnen Kohlendioxid auf, speichert es und trägt so zur Regulierung der Temperatur auf unserem Planeten bei.
Durch die Abholzung und Zerstörung der Wälder wird der gespeicherte Kohlenstoff jedoch wieder in die Atmosphäre freigesetzt. Dort sorgt CO₂ als Treibhausgas für die Verschärfung des Klimawandels.
Der Satellit "Biomass" wurde von über 50 Unternehmen unter der Leitung von Airbus UK entwickelt. Mit an Bord ist auch rot-weiß-rote Hochtechnologie. Die spezielle Thermalisolation, die vor extremer Hitze und Kälte im All schützt, stammt von der niederösterreichischen Firma Beyond Gravity.
Die Biomassedaten sollen das Wissen über den Verlust von CO₂ speichernden Lebensräumen und dessen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt verbessern. Die Mission ermöglicht auch die Kartierung der Geologie des Untergrunds in Wüsten, der Strukturen von Eisschilden und der Topografie des Waldbodens.
Das Ganze hat nur einen Haken: Der brandneue ESA-Satellit muss gleich nach Beginn seiner auf rund 500 Millionen Euro dotierten Mission regelmäßig abgeschaltet werden. Denn das für die Biomasse-Erfassung so entscheidende P-Frequenzband wird auch vom US-Militär genutzt, berichtet der "Spiegel".
Die europäische Forschungsmission könnte die amerikanische Überwachung von Weltraumschrott und die Frühwarnsysteme für Interkontinentalraketen außer Gefecht setzen.
"Wenn zwei Systeme dieselbe Frequenz nutzen, kommt es zu Störungen. Ein Empfänger kann nicht mehr unterscheiden, wo ein bestimmtes Signal herkam. Damit funktionieren am Ende beide Systeme nicht", wird Satellitenkommunikation-Experte Andreas Knopp von der Universität der Bundeswehr zitiert.
"Biomass" muss daher beim Flug über Nord- und Mittelamerika sowie über Europa und Teile Nordafrikas ausgeschaltet werden. Das Militär hat Vorrang, weiß Knopp: "Das war das Beste, was für die Forschung herauszuholen war".
Das wurde aber bei der rund zehn Jahre dauernden Planung der Mission mitberücksichtigt, die Sonderorganisation ITU der Vereinten Nationen überwacht die Frequenznutzung mit Argusaugen.
Für die Mission ist das weniger schlimm, betont die ESA. Sie will ihr Hauptaugenmerk ohnehin auf die tropischen Regenwälder legen. Mitteleuropäische Wälder spielen, auch wegen ihrer starken Bewirtschaftung, im CO2-Zyklus eine untergeordnete Rolle. Sie seien "weniger wichtig, weniger dicht und werden ohnehin bereits gut lokal abgedeckt".