"Ich hatte Angst – aber ich dachte, das passiert nur mir." Sexuelle Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln ist für viele Mädchen und Frauen keine Ausnahme, sondern trauriger Alltag.
Eine aktuelle Erhebung des Vereins Wendepunkt in Kooperation mit der Arbeiterkammer Niederösterreich bringt nun Licht in ein lange tabuisiertes Thema – und zeigt erschreckende Zahlen. Für das Projekt "Safer Place – Sicher unterwegs, dank dir!" wurden mehr als 1.000 Personen befragt.
Jede zweite Frau oder jedes zweite Mädchen berichtet laut Umfrage von Übergriffen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Spannweite reicht von anzüglichen Kommentaren und aufdringlichen Blicken bis hin zu unerwünschten Berührungen oder körperlichen Übergriffen. Besonders alarmierend: Auch Mädchen unter 14 Jahren sind von sexueller Belästigung betroffen.
In der Umfrage von Arbeiterkammer Niederösterreich und Verein Wendepunkt geben 52 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer an, sexuelle Übergriffe oder Belästigungen erlebt zu haben. Erwähnenswert: Die Statistik zeigt, etwa 50 Prozent der Frauen seien nur oder überwiegend von Männern übergriffig behandelt worden.
Dagegen stehen null Prozent der Männer, die a) nur von Frauen und b) überwiegend von Frauen unangenehm behandelt wurden. Zwei Prozent der Frauen geben an, überwiegend andere Frauen hätten sich ihnen gegenüber unangenehm verhalten – ein krasser Unterschied im Verhältnis.
Eine Grafik des Vereins zeigt, wie viele Menschen sexuelle Übergriffe in Öffis und daran angrenzenden Wartebereichen erlebt oder beobachtet werden. Etwa 4 Prozent der Befragten geben an, in einer Park & Ride-Anlage Übergriffe erlebt zu haben. In Öffis sollen es etwa 47 Prozent sein, im Wartebereich 35 Prozent und am Weg zu den Öffis 25 Prozent.
Die Grafik zeigt: Frauen werden deutlich häufiger Opfer von sexuellen Übergriffen im Gegenzug zu Männern. Mehr als 40 Prozent der befragten Frauen soll selbst unangemessenes Anstarren und anzügliche Blicke erlebt haben; fast 35 Prozent "Catcalling", also Nachpfeifen, scheuchen (wie bei einer Katze) oder sexualisierte Gesten und Sprüche.
Bei "Manspreading", Exhibitionismus und Verfolgen geben weit unter fünf Prozent der männlichen Umfrage-Teilnehmer an, Opfer geworden zu sein. Im Vergleich: jede 3. Frau wurde schon von Männern eingeengt, die absichtlich breit sitzen, 13 Prozent der Frauen werden Opfer von Exhibitionismus, etwa jede Achte wurde schonmal verfolgt.
"Übergriffe sind keine Ausnahme", betont Stadträtin Selina Prünster (die Grünen). Sie hat das Projekt "Safer Place – Sicher unterwegs, dank dir!" als Stadträtin von Wiener Neustadt mitinitiiert und unterstützt die Aufklärungsarbeit des Vereins Wendepunkt.
Prünster schildert eine eigene Erfahrung, als sie im Zug belästigt wurde: "Ein Mann hat sich gegenüber mir sitzend entblößt – nicht aus Versehen, sondern ganz bewusst. Und trotzdem kam in mir das Gefühl von Scham auf. Das ist falsch – und genau das will ich jeder Frau mitgeben: Diese Übergriffe sind kein peinlicher Moment für uns. Sie sind gezielte Grenzverletzungen.”
Die Umfrage zeigt, dass viele Übergriffe unbeachtet bleiben – auch weil sie in einem Raum passieren, der vermeintlich öffentlich, in Wahrheit aber anonym ist. Öffentliche Verkehrsmittel seien ein "Ort mit besonderer Unsichtbarkeit der Gewalt", heißt es vom Verein Wendepunkt.
Neben der Datenerhebung ist auch eine breite Sensibilisierung Teil des Projekts. Mit Infokarten, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen soll das Schweigen gebrochen werden. Auch Zivilcourage spiele eine zentrale Rolle bei sexuellen Übergriffen. Wegschauen dürfe keine Option sein. Prünster: "Wenn wir Zeug:innen eines Übergriffs werden, dürfen wir nicht schweigen. Gemeinsam können wir schützen."