"Wir sollten sehr besorgt sein", sagt Graham Hill mit Blick auf die Entlassung von Christian Brückner, dem Verdächtigen im Fall Maddie McCann. "Er ist ein Mann mit vielen abweichenden sexuellen Verhaltensweisen", so der britische Polizist und Experte für Kindesentführung und Mord.
Der 48-jährige Deutsche – bereits mehrfach wegen Sexualdelikten verurteilt – bestreitet jegliche Beteiligung an Madeleines Verschwinden. Das nimmt ihm Hill nicht ab. Brückner sei "ein Risiko für erwachsene Frauen und Kinder beiderlei Geschlechts. Er ist ein sehr gefährlicher Mann."
Hill ermittelte 2007 selbst in Portugal, nachdem das Mädchen kurz vor seinem vierten Geburtstag am 3. Mai aus Praia da Luz verschwunden war. Später verfasste er einen kritischen Bericht über die Ermittlungen der portugiesischen Polizei in der Sache.
"Wir haben es hier mit einem Täter zu tun, der sich für das gesamte Spektrum interessiert, er ist ein Exhibitionist, er schaut gerne zu", so Hill gegenüber der britischen "Times". "Wir wissen, dass er ein sexueller Sadist ist, wir wissen, dass er Menschen gequält hat."
Brückner lebte in Praia da Luz nur vier Autominuten von dem Ort entfernt, wo die kleine Britin zwischen 21.10 und 22 Uhr aus ihrem Hotelzimmer verschwand. In genau dieser Zeitspanne wird in der Nähe mit einem Handy telefoniert, das laut deutscher Polizei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" von Brückner genutzt wurde. Augenzeugen wollen einen Mann gesehen haben, der ein Kind wegtrug.
Am Tag nach dem Verschwinden des Mädchens meldete Brückner seinen Wagen in Portugal ab. Hill zufolge gibt es so genug Indizien, die Brückner an die Spitze jeder Verdächtigenliste gesetzt hätten. Doch Indizien sind keine handfesten Beweise – und für die und eine darauf aufbauende Anklage im Fall McCann hat es nie gereicht.
Brückner – er wurde in Süddeutschland geboren, vom Adoptivvater geschlagen und eingesperrt und landete schließlich in einem Heim, wo er Kinder und Personal terrorisiert haben soll – hat ein langes Vorstrafenregister.
Erstmals wurde er mit 17 Jahren verurteilt, weil er sich vor Kindern im Alter von sechs und neun Jahren entblößt hatte. Er floh nach Portugal, wo er zwischen 1995 und 2007 mehr oder weniger dauerhaft lebte. In dieser Zeit vergewaltigte er 2005 in Praia da Luz eine 72-jährige Amerikanerin. Erst 14 Jahre später wurde er dieser Tat überführt – wegen eines Haares, das auf einer Bettdecke in der Asservatenkammer entdeckt worden war. Er wurde 2019 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, aus der er jetzt entlassen wurde.
Kurz nach dem Verschwinden von Maddie McCann war Brückner nach Deutschland zurückgekehrt, wo er viel unterwegs war, klaute und Drogen verkaufte. Er erwarb eine ehemalige Kistenfabrik in Sachsen-Anhalt, wo die Polizei später USB-Sticks unter einem vergrabenen Hund finden sollte. Sie enthielten Hunderte von Videos von sexuellem Kindesmissbrauch. Auch Brückner war offenbar darauf zu sehen.
2017 wurde er schließlich verhaftet – im Zuge von Ermittlungen gegen einen Online-Pädophilen-Ring. In dem Forum fantasierte er über die Entführung und Sex mit einem Kind: Er wolle "etwas Kleines einfangen und tagelang benutzen", schrieb er. "Ich werde viele Filme machen und genau dokumentieren, wie sie gequält wird." Brückner wurde wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Besitzes von Bildern von Kindesmissbrauch verurteilt.
Noch in Haft identifiziert ihn die deutsche Polizei 2020 erstmals offiziell als Verdächtigen im Fall McCann. Letztes Jahr wurde Brückner von einem deutschen Gericht von weiteren Sexualdelikten in Portugal freigesprochen, darunter die Vergewaltigung von Hazel Behan, einer Irin, die 2004 in einem Ferienort unweit von Praia da Luz überfallen wurde. Sie beschrieb, wie ein Angreifer mit deutschem Akzent sie mit Lederpeitschen schlug und sie in einer fünfstündigen Tortur vergewaltigte, die er filmte.
"Es gibt nur wenige Straftäter wie Brückner", sagt Experte Graham Hill, "das ist eine kriminell sehr vielseitige Person". Er geht davon aus, dass der Deutsche das schlafende Kind aus dem Hotelzimmer entführte und bald danach tötete.
"Wir wissen, dass Menschen, die Kinder entführt haben, wenig organisiert sind", so Hill. "Sie haben jahrzehntelang über Kinder nachgedacht, und sie sahen einen bestimmten Zeitpunkt und reagierten darauf. Und sie haben sich in eine Lage gebracht, in der sie wussten, dass die einzige Möglichkeit, nicht erwischt zu werden, darin besteht, sie zu ermorden."
Die Eltern von Maddie, Kate und Gerry McCann, werden über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten. Bereits fordern Stimmen in Deutschland, Brückner solle unter Sicherungsverwahrung gestellt werden. Nach seiner Entlassung musste Brückner seinen Pass abgeben. Er muss eine elektronische Fußfessel tragen und sich regelmäßig bei der Bewährungshilfe melden.