Ausgangspunkt für die zahlreichen Clips ist ein Video, das eine Frau mit einem Pass aus einem Land namens "Torenza" zeigt, die am John F. Kennedy International Airport (JFK) in New York gelandet sein soll und dann auf mysteriöse Weise verschwand. Die Existenz von "Torenza" sei gerade erst bestätigt worden.
Es gibt kein Land namens "Torenza". Auch der angebliche Vorfall am JFK hat nicht stattgefunden und die Frau ist auch nicht verschwunden. Die Szenen im viralen Clip stammen aus der US-Reality-Show "Airline", in der in den 2000er-Jahren Mitarbeitende von Southwest Airlines begleitet wurden. Die Erzählung scheint eine Neuauflage der "urban legend" von dem "Mann aus Taured" zu sein.
Seit 10. Oktober 2025 häufen sich auf den verschiedenen Social-Media-Plattformen Videos, die ein Land namens "Torenza" thematisieren. Den Anfang machte ein Clip, der eine mit einem langen Mantel und einer hijabähnlichen Kopfbedeckung bekleidete Frau am JFK-Airport zeigt. Sie sei aus Tokio gekommen, heißt es in den Clips (etwa hier). Laut ihrem Pass stamme sie aus einem Land namens Torenza. "Das Problem: Es gibt kein solches Land auf der Erde", postete Facebook-User Tunde. Auf ihn beziehen sich viele andere Userinnen und User. Der Beitrag selbst ist nicht mehr verfügbar (hier). Dass er existiert hat, zeigt die Google-Suche:
Die Frau soll auf die Verwirrung der Passkontrolleure "Dann ist das nicht meine Welt" gesagt haben, heißt es bei Tunde und anderen Usern weiter.
Der Verbleib der Frau sei unklar: Sie sei in einen Sicherheitsraum gebracht worden. "Am nächsten Morgen waren sowohl sie als auch ihr Koffer verschwunden. Die Sicherheitsaufnahmen aus dem Wartebereich? Auch verschwunden." Was viele Male geteilt und weiterverbreitet wurde, hat seinen Ursprung in der Vergangenheit. Und so mysteriös, wie es klingt, ist es nicht.
Ursprung in der Vergangenheit: Die Erzählung ist alt, das Video ebenfalls
Die Geschichte der namenlos bleibenden Frau erinnert an die Erzählung des "Man from Taured" – eine urbane Legende, die seit Jahren kursiert. Laut dieser soll ein Mann in den 1950er-Jahren am Flughafen Haneda in Tokio angekommen sein (etwa hier oder hier). Wie die Frau in den aktuell kursierenden Clips soll auch er mit einem nicht existierenden Herkunftsland – Taured – für Verwirrung gesorgt haben und schließlich verschwunden sein. Vor allem auf Reddit spekulierten viele Userinnen und User, der Mann könnte ein Zeitreisender oder eine Person aus einem Paralleluniversum sein (etwa hier archiviert, aber auch hier). Wie Snopes.com 2021 schrieb (hier archiviert), könnte die Erzählung tatsächlich von einem am 26. Juli 1960 im britischen Unterhaus erwähnten Fall inspiriert worden sein: dem von John Allen Zegrus.
Wer war Johan Allen Zegrus?
Berichten zufolge soll Zegrus 1959 versucht haben, mit einem gefälschten Pass eines erfundenen Landes nach Tokio einzureisen. Als die Fälschung aufflog, sei er festgenommen worden. Außer in dem Mitschrieb der Unterhaus-Debatte (hier, hier archiviert) und in einem am 15. August 1960 veröffentlichten Zeitungsbericht (hier, hier archiviert) finden sich kaum Meldungen über den Fall.
Erwähnt wird er jedoch auch im "Daily Report: Foreign Radio Broadcasts No. 249 – 1961" des amerikanischen Foreign Broadcast Information Service der CIA (siehe Screenshot). Demnach hat "Tokyo Kyodo News" in seiner Abendausgabe vom 22. Dezember 1961 berichtet, dass das Bezirksgericht Tokio John Allen K. Zegrus, einen Mann ohne Staatsangehörigkeit, am 22. Dezember zu einem Jahr Haft verurteilt hatte – "weil er illegal nach Japan eingereist war und gefälschte Schecks ausgegeben hatte". Zegrus habe sich zudem selbst als Amerikaner bezeichnet und sich angeblich als Agent für das FBI und die CIA ausgegeben.
Dass auch die Aufnahmen der angeblich aus "Torenza" stammenden Frau nicht aktuell sind, zeigt die umgekehrte Bildersuche. Das haben Recherchen der Faktencheck-Teams von AFP (hier archiviert) und leadstories.com (hier archiviert) aus den USA ergeben. Die Bilderrückwärtssuche führt zu einem YouTube-Video, auf das nur von den USA aus zugegriffen werden kann.
Es stammt vom A&E Network und zeigt die "Best Full Episodes of 2024 Marathon" der US-Reality-Show "Airline", die von 2004 bis 2005 auf A&E ausgestrahlt wurde und den Alltag von Passagieren, Bodenarbeitern und Bordpersonal von Southwest Airlines zeigte. Etwa ab Minute 22 ist die Frau zu sehen, von der aktuell behauptet wird, sie habe einen Pass aus "Torenza". "20 Minuten" konnte dies mithilfe eines VPN nachvollziehen (siehe Box).
VPN?
Ein VPN (Virtual Private Network) bezeichnet eine geschützte Netzwerkverbindung, die von Unbeteiligten nicht einsehbar ist. Ein VPN verbirgt die IP-Adresse des Nutzers oder der Nutzerin, indem es diese über einen speziellen Remote-Server umleitet. Dadurch sieht es für Websites und Dienste so aus, als käme die Verbindung vom Standort dieses Servers (also z. B. aus den USA, Deutschland, Japan etc.). So kann man virtuell vorgeben, in einem anderen Land zu sein.
Die Frau taucht in der Folge "Lost in Translation" (Staffel 2, Episode 11) auf, die erstmals am 13. September 2004 ausgestrahlt wurde.
Heute kann sie bei Apple TV gestreamt werden kann (hier, hier archiviert). Die Frau sei aus Baltimore nach Los Angeles geflogen und spreche kein Englisch, heißt es darin. In der Folge sieht man, wie Southwest-Mitarbeiterin Yolanda Martin (etwa hier, PDF) am Los Angeles International Airport versucht, der aus Saudiarabien stammenden Frau weiterzuhelfen. Nachdem Martin eine arabisch sprechende Kollegin ausfindig gemacht hat, kann die namenslos bleibende Passagierin mit ihrem Neffen zusammengeführt werden, der sie in Empfang nimmt. An keiner Stelle fällt der Begriff "Torenza". Zumindest ein Teil der Original-"Airline"-Szenen sind in diesem TikTok (hier archiviert) zu sehen:
Die Reunion der Frau mit ihrem Neffen kann zu Beginn dieses TikToks (hier archiviert) gesehen werden:
In den sozialen Medien dreht die Geschichte von der angeblich aus "Torenza" stammenden Frau unterdessen weiter. So wird unter anderem behauptet, Geografen und Nasa-Kartografen hätten die Existenz des angeblichen Landes bestätigt (etwa hier, hier archiviert). Mal heißt es, "Torenza" befände sich "mitten im Pazifik", mal ist von Japan die Rede, wie 20minutes.fr schreibt (hier archiviert). Auch wird behauptet, die Simpsons hätten das Ganze vorhergesehen (etwa hier, hier archiviert). Die Behauptung, man habe eine Leiche der Frau in Indiana gefunden, kursiert ebenfalls (hier, hier archiviert). Doch nichts davon stimmt.
Die "Torenza"-Geschichte ist eine reine Social-Media-Erfindung. Das Video der angeblich mysteriösen Frau stammt in Wahrheit aus einer Reality-Show von 2004 und wurde nachträglich mit einer fiktiven Story versehen. Wie schon bei der alten Legende vom "Man from Taured" wird mit der Faszination für Parallelwelten gespielt. Weder das Land noch der Vorfall existieren.